Trier. Beim Höhepunkt der Trierer Unterwelten am 12. November ging es tief hinab in Trierer Gruften, Kellergewölbe und nicht zuletzt in menschliche Abgründe. Denn bei der „Langen Nacht der Unterwelten“ stehen Tore zu unterirdischen Reichen offen, die sonst verschlossen bleiben. Auf insgesamt elf Routen kann der Trierer Untergrund erkundet werden. So hat sich Tabea Hemmer für 5vier.de auf „Route 3 – Historische Untergänge“ hinab gewagt und festgehalten, was ihr auf dieser Reise durch die Geschichte begegnet ist.

Geschichten aus der Gruft
Treffpunkt Jesuitenkirche. Dort liegt der Namensgeber des ersten Tourstopps, der Friedrich-Spee-Gruft, begraben. Auch wenn ich als Agnostikerin bei Biographien über Geistliche ehrlicherweise nur mit halbem Ohr zuhöre, hat das Leben und Wirken Friedrich Spees mein Interesse geweckt. Unsere Tourführerin Elke Hermsdorf-Hubertz macht uns mit einem Mann vertraut, der nicht nur für ca. 40% aller christlichen Kirchenlieder deutscher Sprache verantwortlich ist. Er ist auch einer der ersten Barock-Dichter, der anstatt auf Latein auf Deutsch geschrieben hat. Sofern diese Information außerhalb des Germanistik-Studiums auf weniger Begeisterung stößt, so hat der fleißige Spee noch ein massentauglicheres Top-Thema nicht unberührt gelassen. Es geht um eins der grauenhaftesten Kapitel unserer Geschichte: Hexenverfolgung. Auch wenn Spee als Kind seiner Zeit an die Existenz von Hexen und dergleichen glaubte, war er seiner Zeit doch voraus. Denn er war einer der prominentesten Kritiker der Hexenverfolgung und Geständnissen unter Folter.

Hexenverfolgungen – Irrsinn mit System
Zum ersten Mal dürfte der Jesuit 1610-1612 in seiner Zeit als Novize mit Hexenverfolgung in Berührung gekommen sein. Denn innerhalb seiner Jesuiten-Ausbildung ging Spee unter anderem in Longuich betteln. Dort wurden einige Jahre zuvor bis auf zwei Einwohnende alle lebendig bei Hexenprozessen verbrannt. Die Dynamik, die hinter dieser Tragödie steckt, nennt sich „Besagung“ und wird von Frau Hermsdorf-Hubertz wie folgt erklärt:
Wenn man unter Folter gefragt wird, wer denn noch mit einem zusammen auf der Hetzerather Heide bei Trier mit des Teufels Großmutter Buhlschaft getrieben habe, dann wird erwartet, dass man jemanden liefert.
Und so besagt die eine den anderen und kreative Foltermethoden tun ihr Übriges. Für die Kirche war das Ganze ein lukratives Geschäft. In Hexenfolterbüchern ist genaustens aufgelistet, was eine Familie den Peinigern ihrer Liebsten für die Folter zu zahlen hat. Ein Folterknecht kann schließlich nicht nur von Luft und Liebe leben. Ein Zitat, das Spee von einem Großinquisitor gehört haben will, bringt den Irrsinn der Hexenverfolgungen auf den Punkt. Dieser prahlte, selbst den Papst höchstpersönlich unter Folter dazu zwingen zu können, sich als Satan zu bekennen.

Hunde, die bellen, werden gebissen
Nachdem auch Spees Schwägerin als Hexenmeisterin beschuldigt ihr Ende fand, macht Spee seine Kritik an der Hexenverfolgung öffentlich. Ganz getreu dem Motto seiner Gruft-Inschrift:
Ich gehöre nicht zu den stummen Hunden, die nicht bellen. Im Gegenteil: Ich mache meinen Mund auf.
Dieser Wagemut wurde Spee zum Verhängnis. Zur Bestrafung versetze ihn die Kirche nämlich nach Trier, was damals (im Gegensatz zu heute) keine Freude war. Denn in Trier tobte die Pest und als Beichtvater pestkranker Soldaten fiel auch Friedrich Spee alsbald der Krankheit zum Opfer.
Von Diebstählen und Schatzfunden
Nach diesem Ausflug ins 17. Jahrhundert erzählt nun Michael Strobel, der die Gruppe weiter zum Viehmarktplatz führt, von nicht weniger turbulenten Zeiten. Auf dem Weg macht der Architekt auf ein Gebäude im Jugendstil aufmerksam. Es handelt sich um das ehemalige Kaufhaus des jüdischen Kaufmanns Hermann Haas in der Fahrstraße. Nach der Arisierung 1935/36, also der Enteignung jüdischer Unternehmen, fiel das Gebäude Franz Duhr in die Hände.

Die Zeichen menschlicher Zerstörungswut finden sich auch im Erdreich unter dem Viehmarktplatz. Dort sollte dem Parkplatz an der Oberfläche eine Tiefgarage weichen. Während manch einer noch dem damals ansässigen Fritten-Max nachtrauert, berichtet Herr Strobel von dem, was bei den Vorarbeiten des Baus zu Tage gefördert wurde. Man fand nämlich nicht nur eine der ältesten Thermenanlagen römischer Zeit, sondern auch eine zehn Zentner schwere aber zum Glück ungefährliche Bombe.

Theatralische Untergänge
Ähnlich kriegerisch geht es weiter bei der nächsten Station: das Studio Theater Trier. Hier wird der Keller zur Bühne. In einer szenischen Lesung interpretieren Schauspieler Ausschnitte aus dem Stück „Untergang“. Darin geht es um persönliche Verluste bis hin zu kriegerischen Konflikten quer durch die Zeit. So kommt es, dass ich mich bei den links und rechts gegenüber aufgestellten Sitzreihen plötzlich durch meine Platzauswahl auf der Seite der Athener wiederfinde, die sich die Insel der Melier unterwerfen wollen. Das Interessante an dem Stück ist die Übertragbarkeit der historischen Dialoge auf aktuelle Konflikte. Philippe Thelen in der Rolle eines verhandelnden Meliers gibt zu bedenken:
Wäre es denn nicht besser, wenn wir auf das Schlimmste ganz verzichten? Und, um nicht euer Feind zu werden, fern von jedem Bündnis bleiben und in Frieden mit euch Freundschaft schließen?
Martin Geisen als kolonisierender Athener entgegnet jedoch:
Eure Freundschaft ist ja in den Augen all derer Inseln, die wir vor euch unterworfen haben, ein Zeichen der Schwäche. Eure Feindschaft – euer Hass ist aber ein Zeichen unserer Stärke.

Wer Lust auf mehr bekommen hat, kann sich das Stück „Untergang“ am 18. und 24. November oder am 04. und 07.Dezember in der Europäischen Kunstakademie anschauen.
Ein „Keller“ mit Stil
Zu unserem letzten Stopp, den Thermen am Viehmarkt, führt uns nun Anke Reichelt. Sie beschreibt im Schnelldurchlauf die Veränderungen der letzten Jahrhunderte rund um den Viehmarktplatz. Das einstige römische Stadtzentrum wurde im Mittelalter von Hauptmarkt abgelöst. Daraufhin entstand auf dem Viehmarktplatz der jüdische Friedhof, der dann einem Kloster weichen musste. Dieses wiederum wurde infolge der Säkularisierung abgerissen und wo die Klosterkirche stand, befand sich dann ein Theater. Nachdem es der Bombenhagel des 2.Weltkriegs zertrümmerte, wurde bereits besagter Parkplatz inklusive Fritten-Max gebaut. Und heute haben wir dort einen Platz, der mit seinem Fenster in die Geschichte bis in die römische Vergangenheit zurückblicken lässt.
Genau dieser Ort ist nun „unser Keller“, wo schon ein Freigetränk und Live-Musik von der Acoustic-Band „Sing Out Loud“ auf uns wartet. Sofern noch Platz frei ist, kann man auch die anderen der vier offenen Keller besuchen. Aber mit guter Musik, leckerem Wein und in angenehmer Atmosphäre kann man auch hier den Abend hervorragend ausklingen lassen.

Alles in allem bot die „Lange Nacht der Unterwelten“ ein abwechslungsreiches Event, das Lust darauf macht, noch weitere unterirdische Welten Triers zu erobern.
Wer die „Lange Nacht der Unterwelten“ verpasst hat oder nicht genug bekommen kann, findet hier weitere Veranstaltungen des Trierer Unterwelten Festivals.
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