Von Florian Schlecht
Rudi Thömmes war der Held, der Schalke und Dortmund aus dem DFB-Pokal kegelte. Sein wichtigstes Tor für Trier schoss er aber vor über zehn Jahren, als sein 2:1-Siegtreffer in Hoffenheim den Aufstieg in die 2. Bundesliga bedeutete. Am Sonntag kehrt das Urgestein als Co-Trainer an die Stätte seines größten Triumphes zurück. An den 11. Mai 2002 im Dietmar-Hopp-Stadion erinnert er sich mit 5vier zurück.
Es gibt diese Momente, die jedem leidenschaftlichen Fußballfan eines Vereins sofort in den Kopf schießen, wenn er daran erinnert wird. Momente, die begeistern, die mitreißen, die man seinen Kindern, Enkeln, Urenkeln irgendwann erzählen möchte, die auch an einem tristen Arbeitstag mit einem mürrischen Vorgesetzten glücklich machen, die auf Videos, DVDs und Youtube immer wieder angeschaut wurden, ohne nur eine Sekunde davon als Zeitverschwendung zu bereuen. Die Anhängerschaft von Eintracht Trier denkt in diesen Tagen vor der Rückkehr in das Dietmar-Hopp-Stadion an einen solchen Moment zurück, nämlich an den 2:1-Sieg bei der TSG Hoffenheim am 11. Mai 2002, der gleichbedeutend war mit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga. Auf der Facebook-Seite des Vereins wurden Fans aufgerufen, ihre Bilder von damals aus den Schubladen zu kramen und für ein großes Album zur Verfügung zu stellen. 5vier hat sich für diesen Artikel auch den Fotos bedient, die weinende Männer, ungläubige Spieler und Menschenmassen im Innenraum zeigen.
Rudi Thömmes hat einige magische Fußball-Momente erlebt, als er noch für Eintracht Trier auf dem Platz stand. Das Moselstadion ist für ihn ein ähnlich magischer Ort wie der Wimbledon-Rasen einst für Boris Becker. In der Saison 1997/98 jettete der ehemalige Spielmacher plötzlich als Medienstar von einer TV-Show in die nächste, weil ganz Deutschland sich für den Mann interessierte, der mit seinen Toren erst UEFA-Cup-Sieger Schalke 04 und dann Champions-League-Gewinner Borussia Dortmund aus dem DFB-Pokal gekegelt hatte. Der Lupfer von „Ruuuudi“ über BVB-Torwart Stefan Klos aus gefühlten 40 Metern. Unvergesslich. Unerreichbar? Von wegen!
„Wir haben nicht dran gedacht, an dem Tag aufzusteigen“
Wenn der 43-Jährige über den größten Tag seiner Laufbahn spricht, dann klammert er die Höhenflüge im Cup aus. Auch er kommt auf den 11. Mai 2002 zurück, der im Fußballkalender seines Lebens mit purer Gänsehaut verbunden ist. Am Sonntag kehrt der 43-Jährige als Co-Trainer an die Stätte seines wichtigsten Erfolgs zurück.
Es hat sich viel verändert in der Zeit. Die Eintracht spielt in der Regionalliga beim Tabellenführer, der nun Hoffenheim II heißt. Die erste Garnitur der Kraichgauer ist millionenschwer besetzt, kickt in einem 30.000-Zuschauer-Tempel in Sinsheim und misst sich mit dem FC Bayern. Wenn es zwischen beiden Vereinen eine Gemeinsamkeit in den letzten Jahren gab, ist es Marco Pezzaiouli, der Trier und Hoffenheim mit einem so überschaubaren Erfolg trainierte, dass überschaubar schon eine maßlose Übertreibung ist. Doch was einst im Mai geschah, gehört zur Tradition von Eintracht Trier. Und Tradition vergeht nicht.
„Für mich ist es ein normales Spiel, das wir nicht verlieren wollen“, sagt Thömmes vor dem Spiel am Sonntag, ganz der Profi. Aber die wahren Gefühle vor der Rückkehr ins Dietmar-Hopp-Stadion sehen bestimmt anders aus. Das weiß er auch selber. „Wenn ich dort aus dem Bus aussteige, werden bestimmt Erinnerungen wach“, schränkt er schnell ein. „Was wir damals erlebt haben, hat mich geprägt.“ Es war der 33. Spieltag in der alten Regionalliga Süd. Wacker Burghausen war als Meister schon durch, nun drehte sich alles darum, wer den Bayern auf dem zweiten Platz in die 2. Bundesliga folgen durfte. Trier, das 21 Jahre lang schon auf den großen Traum gewartet und ihn zwölf Monate zuvor wegen einer tragischen 0:1-Heimpleite gegen den VfB Stuttgart II verpasst hatte. Oder Wehen, der Emporkömmling aus Hessen, der im Verfolgerfeld lag und bei den Sportfreunden Siegen antreten musste. „Wir waren an diesem Tag auf einen Patzer von ihnen angewiesen, um feiern zu können“, erinnert sich Thömmes. „Auf dem Weg nach Hoffenheim haben wir gar nicht daran gedacht, dass wir aufsteigen. Wir wollten hinfahren, gewinnen und im letzten Heimspiel für die Entscheidung sorgen.“ So weit, so nüchtern war auch die Ansprache in der Kabine.
„Wir standen mit elf Mann nur noch hinten drin“
Es kam anders. Mehmet Dragusha, der pfeilschnelle Flügelspieler, brachte Trier vor 3100 Zuschauern mit 1:0 in Führung (20.). Der postwendende Ausgleich sorgte für Tristesse auf den Rängen (21.). Doch wieder nur drei Minuten später war es Thömmes, der Mann für die wichtigen Treffer, der die Eintracht mit seinem 2:1 zurück auf die Siegerstraße führte. „So ein Tor vergisst man nicht. Von rechts kam ein langer Ball auf den zweiten Pfosten, Danny Winkler lief hin, hat per Dropkick mit der Hacke zu mir gespielt, ich stehe im Fünfer und haue das Ding mit links rein.“ Erleichterung stellte sich da aber noch lange nicht ein. „Es war ja nicht klar, dass das Tor den Aufstieg bedeutet.“ Die Fans durchlitten die Phase förmlich. Eine Fehlmeldung ging durch den Block, 2:0 für Siegen. In Wirklichkeit stand es 1:1. Als Wehen dann plötzlich doch 1:2 zurücklag, diesmal stimmte die SMS, brannte Jubel aus. Wer steigt heute auf? „Nur der SVE“, antworteten Tausende von Fankehlen zurück.
Auch Thömmes spürte auf dem Rasen von Sekunde zu Sekunde mehr, was für ein historischer Tag dieser 11. Mai werden konnte. „An der Bank waren alle am Rumhoppeln und Schunkeln. Da wusste ich, dass wir an dem Tag den Aufstieg schaffen können.“ Es war ein Wissen, dass die Beine lähmte, die Sehnsucht nach dem erlösenden Abpfiff wachsen ließ. „Wir standen nur noch mit elf Mann hinten, haben die Bälle nach vorne gehauen, Daniel Ischdonat im Tor hat super gehalten“, erinnert sich Thömmes an eine echte Abwehrschlacht. Als dann der Schiedsrichter zur Pfeife griff, war das Zittern vorbei.
„Ein unglaubliches Bild“
„Ich war überglücklich“, so Thömmes. „Ich habe einen Beitrag dazu geleistet, dass Eintracht Trier nach 21 Jahren wieder im bezahlten Fußball war. Darauf war ich stolz, darauf wurde so lange hingearbeitet. Der Aufstieg war das Größte, was ich in Trier jemals erlebt habe.“ Vorbei die Leidenszeit mit misslungenen Aufstiegsrunden und einem Insolvenzverfahren, das den Verein vor dem Ruin rettete.
Noch heute denkt „Ruuuudi“ daran zurück, wie in Hoffenheim die Tore aufgemacht wurden und die Anhänger auf den Platz stürmten. „Das war eine tolle Aktion.“ Im Bus auf der Rückfahrt und abends am Stadion wurde noch mit Bier angestoßen. „Die Fans haben auf uns gewartet, wir sind auf den Balkon vom Backsteingebäude gegangen, wurden gefeiert. Das war super.“
Wenige Tage später trug sich die Mannschaft in das „Goldene Buch“ ein und wurde in einem Autokorso durch die City gefahren. „Als wir vom Rathaus vorne in die Stadt gefahren sind, war nichts los. Doch dann sind wir mit den Cabrios beim Hauptmarkt eingebogen – und von dort bis zur Porta Nigra stand alles voller Menschen. Das ist ein Bild, das ich nie vergessen werde.“ Ein Poster von den jubelnden Massen hat Thömmes immer noch zu Hause hängen. Ein normales Spiel also, wenn er Sonntag nach Hoffenheim zurückkehrt. Wirklich?
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