Von Martin Köbler
Wer Anfang September auf die Tabelle der Regionalliga West schaut, der wird sich in seiner Prognose die alte Dame von der Mosel betreffend wohl selbstverliebt auf die Schulter klopfen und sich denken: „Ja, genau. Wo denn auch sonst?“ – die Eintracht, sie steht auf dem 13. Tabellenplatz, und die Miesmacher im Umfeld sehen eindeutige Anzeichen, die darauf hindeuten sollen, dass dies nur eine Durchgangsstation auf dem Weg an das Tabellenende sein könnte. Den Planungen Roland Seitz‘ und der Vereinsführung tut das anonyme Unkenrufen in den Internetforen keinen Abbruch: noch vor der Partie gegen Fortuna Düsseldorf II werden Lukas Mössner (SKN St. Pölten/Sturm) und der ehemalige Bundesliga-Spieler Thomas Riedl (Wacker Innsbruck/Defensive) verpflichtet. Doch sei es, wie es sei: Fest steht, dass seit über dreihundert Tagen der leidgeprüfte Anhang auf einen Heimsieg wartet, das damalige 2:1 im Oktober 2009 gegen den SV Waldhof Mannheim – eben jener Klub, der mit dafür sorgen sollte, dass die Eintracht überhaupt noch in der Regionalliga hat Fuß fassen dürfen – scheint allerdings subjektiv empfunden wohl schon vor dem Mauerfall errungen worden zu sein.
Foto: Auftakt für der Siegesserie, erster Teil: Düsseldorfs Verteidiger sieht schon nach drei Minuten die rote Karte.
Eben jenem treuen Anhang, auf den die Worte des Vereinsliedes „Mir senn daobei, ganz egal, wat passeert“ wie maßgeschneidert als eine zweite Haut passen, offenbart sich am 5. September fast schon historisches. 1.760 Fans sind an diesem Samstagnachmittag noch übrig geblieben – und sie sehen, wie die Mannschaft, die im Februar noch Mario Basler sprichwörtlich den Rest geben sollte, in den ersten Minuten auf dem heiligen Rasen auseinandergenommen wird. Alban Meha, der sich immer mehr zum Publikumsliebling mausert, kann bereits nach exakt 240 Sekunden einen Strafstoss in die weißen Maschen vor der Zurmaiener Straße hämmern – Platzverweis für die Landeshauptstädter inklusive, die durch das Stadionsprecherteam wiederholt versehentlich als „Wuppertaler SV“ bezeichnet werden. Welch ein Glück für die Blau-Schwarz-Weißen, denn die Reserve der Fortunen sollte sich nach der Roten Karte deutlich geschwächt zeigen und auch nicht nur im Ansatz an die Effektivität der Bergischen heranreichen. Thomas Kraus stellt nur drei Minuten später die Weichen auf Sieg – der alles in allem ungefährdete 3:0-Erfolg (Tim Eckstein erhöhte kurz vor Schluss) lässt die Worte der Kritiker im Keim ersticken und seit Urzeiten eine Humba zwischen Mannschaft und den Fans auf der Gegengerade nach dem Spielende zu. Auf der anschließenden Pressekonferenz ist den Beteiligten die Erleichterung anzumerken – und hätte man ganz genau hingehört, man hätte die Steine von den Herzen reihenweise plumpsen hören können.
Was in diesen Momenten niemand ahnen konnte: dieser Dreier war nur der Auftakt, trotz nun folgenden zwei Auswärtsspielen. In der Vergangenheit ob der chronischen Auswärtsschwäche in etwa so undenkbar wie Moselhochwasser auf dem Petrisberg, fährt die Eintracht sowohl auf der Alm in Bielefeld beim 3:1 (0:0)-Erfolg (Tore durch Saccone, 2x Meha) als auch im Schatten des riesigen Signal-Iduna-Parks zu Dortmund vor beeindruckender Kulisse ob zahlreich anwesender Borussen durch den 2:0-Sieg (Asma, Mössner) zwei Dreier in der Fremde in Folge ein.
Foto: „Der Spatz in der Hand…“ ist in der Regel erstrebenswerter als die Taube auf dem Dach – oder als die Hand im Gesicht des Gegners, wie hier Lukas Mössner.
Die Mannschaft, sie geht gestärkt in das Rheinland-Pfalz-Derby mit dem FSV Mainz 05 II , will mit einem Sieg womöglich Tabellenführer Schalke 04 II von der Spitze verdrängen und zumindest kurzfristig den Charme des Spitzenreiters versprühen. Der Rahmen stimmt: Mittwochabend, Flutlicht, über 2.300 Zuschauer – doch die Partie in der ersten Hälfte hatte in etwa so viele Höhepunkte wie der Buchstabe „i“ – nämlich genau einen. Doch dieser hatte es in sich, als Piero Saccone nach 35 Minuten das bis dato sehr laufintensive Spiel mit einer gehörigen Portion italienischem Wut im Bauch satt hatte und aus knapp fünfundzwanzig Metern abzog, dem rheinhessischen Schlussmann Tapalovic keine Chance ließ und das runde Leder gekonnt in der linken unteren Ecke versenkte – der vielumjubelte Pausenstand, bahnte sich doch der unglaubliche vierte Sieg in Serie an. Doch diese Serie, sie riss, ehe sie so richtig begann: dem unmittelbaren Ausgleichstreffer nach der Pause (50.) folgte zwar postwendend die erneute Führung (Alban Meha, Elfmeter, 55.) – doch diese konnte nicht über die Zeit gerettet werden. Andreas Lengsfeld, der in der Folge vom bis dato verletzten André Poggenborg abgelöst werden sollte, musste sich zwanzig Minuten vor dem Ende einem echten Kunstschuss von der Strafraumkante geschlagen geben – das 2:2, der Endstand. Doch von Frust ist keine Spur – im Gegenteil. Aufmunternder Applaus brandet nach dem Schlusspfiff auf, sind gemessen an den Realitäten des Sommers zehn Punkte aus den vergangenen vier Partien doch eigentlich mehr als genug – und viel mehr als erhofft, geschweige denn erwartet. „Der Spatz in der Hand war mir dann in dieser Partie auch lieber“, gestand auch Roland Seitz ein – „denn wir müssen sehen, wo wir herkommen.“
Wahre Worte. Man muss sehen, wo man herkommt. Und, wo man eigentlich hätte sein müssen.
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