Am Mittwoch, 25. September, hatte das Klassenzimmerstück der laufenden Spielzeit in einer Klasse des AMG Premiere. „Die Leiden des jungen Werthers“ nach Goethe, mit Daniel Kröhnert in der Hauptrolle.
8.00 Uhr morgens im Trierer AMG. Die Tische der Klasse sind ausnahmsweise an die Rückwand verbannt worden, die Stühle stehen in Reih und Glied nebeneinander. Darauf sitzend, die Schülerinnen einer der Klassen der Mädchenschule. Die Blicke, wie immer, nach vorne gewandt. Allerdings nicht zur Tafel, sondern auf eine Leinwand gerichtet. Und zur Abwechslung hält kein Lehrer einen Vortrag, sondern ein Schauspieler des Theaters Trier.
Daniel Kröhnert spielt vor der Mädchenschar die Hauptrolle in dem Stück „Die Leiden des jungen Werthers“. Moment, seit wann ist die „Leiden des jungen Werthers“ denn ein „Stück“, Briefroman traf es doch bisher immer? Das berühmte Werk vom noch berühmteren Goethe ist in der Tat eigentlich als Briefroman gedacht und bekannt. Doch das heißt ja nicht, dass es nicht auch für die Bühne konzipiert werden kann.
Der Roman, der nach wie vor fasziniert, erzählt die Geschichte des jungen Werthers. Einer feinfühligen Künstlerseele, die an der kalten, strukturierten Welt zerbricht, keinen Platz für sich zu finden weiß und dem die Liebe letzten Endes den Rest gibt. Seine Geschichte endet tragisch, in der Fiktion wie in der Realität.
Selten hat ein Roman derartige Reaktionen in seiner Leserschaft ausgelöst. Einmal ist der Werther ein ruchloser Ehebrecher, ein tadelnswerter Träumer, ein ehrloser Selbstmörder, dann spiegelt er das leidenschaftliche Lebensgefühl einer ganzen Bewegung, des Sturm und Drangs, wieder. Eine Reihe von Selbstmördern taten es ihm sogar gleich, auch wenn man heute von einer wesentlich kleineren Anzahl ausgeht, als angenommen.
Theater im Klassenzimmer
Fest steht, die Geschichte des unglücklich Verliebten ist bis heute aktuell, gerät eigentlich nie aus der Mode: Werther, ein junger, leidenschaftlicher Künstlertyp verliebt sich in Lotte. Lotte verliebt sich auch in Werther, zumindest soweit es ihre Verlobung mit Albert zulässt. Es entsteht eine mehr oder weniger platonische Dreiecksbeziehung, aus der einer schließlich schwinden muss, nämlich Werther. Er zieht in eine andere Stadt, nimmt dort eine neue Stellung an, schließt Freundschaft mit einem Grafen. Als der ihn aus einer Festgesellschaft höflich „auslädt“, da er als Bürgerlicher dort eigentlich nichts zu suchen hat, zumindest laut den anderen Adligen, erkennt Werther, dass er niemals seinen Platz in der Gesellschaft finden wird. Er kehrt zurück an jenen Ort, wo er die schönsten, aber auch die schrecklichsten Stunden seines Lebens verbracht hat: zu Lotte. Die ist inzwischen verheiratet, mit Albert und nach weiteren quälenden Monaten der Liebessehnsucht macht Werther seinem Leben ein Ende.
Daniel Kröhnert spielt, wie gesagt, den leidenden, jungen Werther, immer begleitet von einer Powerpoint-Präsentation. In einer Stunde jagt er durch den klassischen Text und das gewaltige Sprachpaket durch. Die Geschichte muss so natürlich sehr gerafft werden, sodass man zwar die harten Fakten locker mitkriegt, aber die leisen Zwischentöne etwas fehlen müssen. Beispielsweise, dass Lotte mit dem Werther durchaus kokettiert und ihm so immer wieder begründete Hoffnungen macht, kommt nicht wirklich zum Vorschein. Man muss sich manchmal fragen, woran der Werther seine Faszination für diese Frau festmacht. So bekommt seine Liebe etwas Schwärmerisches, Unbestimmtes, statt Unerfülltes und Tragisches. Es ist aber auch ein großes Fass, was man da aufgemacht hat. Wo soll man sinnvoll kürzen, wenn nicht Fakten das Bedeutungsvolle sind, sondern kleine Gesten, ein Lächeln, ein Zwinkern?
Regisseur Alexander Ourth und sein Hauptdarsteller schaffen es trotzdem eine runde Sache daraus zu machen. Manchmal gerät der Werther, besonders in Momenten der Euphorie, allerdings in einen derartigen Sprech- und Bewegungsrausch, dass man ein bisschen stutzen muss. Ein Klassenraum ist eben keine große Bühne, die Rampe muss nicht überspielt werden. Höchstens das Pult. Der verzweifelte und der zum Tod entschlossene Werther am Ende sind berührender und eindrucksvoller, als der aufgedrehte, lautstarke Werther der ersten Szenen.
Großer Text, feine Zwischentöne
Das Ganze wäre vielleicht auch etwas langsamer gegangen, der Text ist besonders am Anfang gewaltig; die Leistung von Schauspieler, aber auch von Zuschauer immens. Besonders für Schüler, die den Text nur eventuell schon gelesen haben, ist die Packung riesig. Da muss sich die Inszenierung erstmal setzen, bevor man in eine Diskussion mit Dramaturgin Sylvia Martin und Regisseur Alexander Ourth gehen kann. Insgesamt bewerteten die Schülerinnen des AMG das Theater in ihrer Schule aber als positiv. Wie etwa Leonie und Clarissa, die beiden finden es toll, mal was anderes in der Schule zu sehen; Leonie kennt Daniel Kröhnert auch schon aus der Produktion „Berlin Calling“ aus der letzten Spielzeit.
Für die nächsten Aufführungen können und sollen sich Schulen und Lehrer melden, die ihren Schülern mal etwas Neues bieten wollen. Eine gänzlich andere Art an die Klassiker heran zu gehen. Frisch und lebendig, nicht verstaubt und antiquarisch. Ein Werther, der „wirklich“ leidet, der vor der Klasse steht und schwitzt, statt vom Lehrer ehrfürchtig aus der Reclam-Ausgabe zitiert zu werden. Literatur live.
Fazit: Für Schüler genau die richtige Portion. Eine Stunde Aufführungsdauer, danach Diskussion, damit sich der Stoff setzen kann. Eine schöne Erfahrung, die Klassiker als Geschichten zu betrachten und nicht als Lehrplanstoff.
Fotos: Theater Trier
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