Von Stephan Nestel
Es gilt, das Unmögliche möglich zu machen: 5vier-Spieleexperte Stephan Nestel probt die Flucht aus dem sichersten Gefängnis der Welt.
5vier spielt: Wer hat nicht schon von „The Rock“ gehört – von Alcatraz, dem legendären Gefängnis in der Bucht von San Francisco? Glaubt man der offiziellen Geschichtsschreibung, dann hat es noch nie einen erfolgreichen Ausbruch aus diesem Gefängnis gegeben. Im Spiel „Alcatraz – Verrat hinter Gittern“ müssen die Spieler nun das Unmögliche möglich machen: die Flucht aus Alcatraz!
Jeder Spieler übernimmt dabei die Rolle eines Häftlings. Es gibt einen gemeinsamen Fluchtplan und in den Mitspielern hat man Leidensgenossen, die sich auch nach Freiheit sehnen. Perfekte Voraussetzungen um zu entkommen – oder doch nicht? Nein, natürlich ist es nicht ganz so einfach, die Mauern von „The Rock“ hinter sich zu lassen.
Taktik, Flexibilität und Überzeugungskraft
Denn leider sind die Mitspieler keine willigen Fluchthelfer, sondern wollen vor allen Dingen selbst entkommen. Im Knast ist sich jeder selbst der nächste und noch dazu wissen alle, dass nicht jedem die Flucht gelingen wird. Also gibt es nur Zweckbündnisse zwischen den Spielern, und die enden so schnell wie sie geschlossen werden.
„Alcatraz – Verrat hinter Gittern“ ist ein Spiel, das kooperative und kompetitive Elemente vereint: Wie bei einem klassisch kooperativen Spiel müssen die Spieler gegen das Spiel zusammenarbeiten, um eine Chance zu haben. Und wie bei einem klassisch kompetitiven Spiel muss jeder Spieler darauf achten, dass ihm die anderen nicht den Sieg vor der Nase wegschnappen. Das Ergebnis ist ein abwechslungsreiches Spiel mit einer ungewöhnlichen Spielmechanik. Alcatraz ist weder ein rein kooperatives Spiel wie z.B. „Arkham Horror“, noch ein rein kompetitives Spiel wie z.B. „Monopoly“. „Alcatraz – Verrat hinter Gittern“ ist eine gelungene Mischung, bei der es darum geht mit Taktik, Flexibilität und Überzeugungskraft in wechselnden Allianzen an sein Ziel zu kommen. Besonders Freunde von interaktiven Spielen kommen voll auf ihre Kosten, wenn Allianzen geschmiedet und beendet werden.
Aufbau des Spiels
Der aus zwölf Einzelteilen aufgebaute Spielplan stellt die verschiedenen Orte im Gefängnis dar – vom Aufenthaltsraum über die Krankenstation bis zum Zellenblock. Jeder Raum hat besondere, für die Flucht nützliche Eigenschaften:
An den meisten Orten gibt es hilfreiche Gegenstände, an anderen Orten kann man sich z.B. Geld oder Zusatzaktionen besorgen. Grundsätzlich stehen jedem Spieler pro Runde drei beliebige Aktionen zur Verfügung, wobei das oberste Ziel natürlich die Ausführung des Fluchtplans ist. Dazu müssen mit den gesammelten Gegenständen – und außerdem meist mit der Hilfe von mindestens einem anderen Spieler – insgesamt sechs verschiedene Aufgaben gelöst werden.
Die ersten beiden Spieler, die zusammen alle sechs Aufgaben gelöst haben entkommen und gewinnen das Spiel – egal, ob sie das so geplant hatten oder nicht. Da es keine versteckten Informationen gibt, muss jeder die gelösten Aufgaben seiner Mitspieler im Auge behalten und immer wieder neu entscheiden, mit wem sich die Zusammenarbeit lohnt. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem „Sündenbock“.
Am Anfang jeder Runde wird einer der Spieler per Abstimmung zum Sündenbock gewählt – mit allen Vor- und Nachteilen dieser Rolle. So kann der Sündenbock zwar selbst keine Aufgaben lösen, dafür hat er aber mehr Aktionen als die anderen Spieler zur Verfügung. Die geschickte Wahl zum Sündenbock kann für einen Spieler je nachdem ein echtes Problem, aber auch der Schlüssel zum Sieg sein. Die meisten Absprachen für die nächste Runde (und weiterreichende Absprachen machen eigentlich keinen Sinn) finden während der Wahl zum Sündenbock statt.
Die Regeln: gut durchdacht und schnell zu lernen
Die Regeln von „Alcatraz – Verrat hinter Gittern“ sind gut durchdacht, schnell zu lernen und sorgen für einen flüssigen Spielverlauf. So wird z.B. übermäßiges Taktieren und Trödeln der Spieler dadurch unterbunden, dass in jeder Runde eine neue Wache ins Gefängnis kommt. Mit jeder zusätzlichen Wache mehr wird das Entkommen schwieriger bis schließlich so viele Wachen im Dienst sind, dass die Flucht unmöglich wird. Hat es bis dahin keinen Ausbruch gegeben, dann haben alle Spieler verloren.
Das Spielmaterial ist zwar eher einfach gehalten – die Spielfiguren sind schlicht runde und eckige Holzklötzchen in verschiedenen Farben – aber das tut dem Spielspaß keinen Abbruch. Die Karten und Spielplanteile sind ansprechend illustriert und vermitteln eine für das Thema passende, düstere Atmosphäre und machen einen durchweg stabilen Eindruck.
Fazit: „Alcatraz“ ist ein recht einfach zu lernendes und trotzdem anspruchsvolles Spiel mit viel Interaktion, für das man neben taktischem Geschick auch Überzeugungskraft braucht. Mit einer Spieldauer von 45 bis 60 Minuten eignet es sich gut für kürzere Spielabende oder für mehrere Partien hintereinander. Und bei einem Preis von in der Regel unter 25 Euro stimmt auch das Preis-Leistungsverhältnis.
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