Interview von Stefanie Braun
Am 26. Juli wird Thomas Schwab mit seiner Band im Trierer Amphitheater auftreten. Mit von der Partie ist die bekannte Ausnahmekünstlerin Patricia Kelly. Das ehemalige Mitglied der berühmten Kelly Family hat unserer Redakteurin Stefanie Braun im Interview einige Fragen beantwortet.
5vier.de: 48 Gold- und Platinplatten, ausverkaufte Stadien, dies sind Punkte von denen andere Musiker nur träumen können. Empfinden Sie diese als Karriere-Höhepunkt oder als eine Station?
Patricia Kelly: Im kommerziellen Sinne definitiv ein Höhepunkt, aber nicht im künstlerischen Sinne. Es gibt sozusagen zwei Schienen, die parallel laufen und sich manchmal streiten. Zum Beispiel empfinde ich es so, dass der kommerzielle Höhepunkt Mitte der 90er Jahre war, aber es war nicht die schönste Zeit als Künstlerin. Ich habe damals nicht die beste Kunst aus mir herausgeholt. Heute kann ich viel bessere Kunst aus mir schöpfen. Viele messen einen Künstler an seinem kommerziellen Erfolg; der ist auch wichtig, aber nicht das Wichtigste.
5vier.de: Was ist Ihnen in diesem Zuge wichtiger: eine stetige, musikalische sowie persönliche Entwicklung oder der schnelle, große Erfolg?
Patricia Kelly: Das Stetige, zu 100 %. Weil es viel menschlicher und vor allem machbarer ist. Dieses schnelle Wachsen kann auch schnell wieder nach „unten“ gehen. Das ist ein Phänomen, welches es in vielen Bereichen gibt, nicht nur in der Musik: wenn eine Firma zu schnell wächst, kann sie genauso schnell wieder untergehen. Das liegt daran, dass das langsame Wachsen gesünder ist, man ist vorbereitet und es passiert natürlicher. In der Natur ist es auch selten, dass etwas plötzlich passiert. Das ist vergleichbar mit einer kleinen Blüte oder Knospe, die zu einem Blatt oder einem Obst wird. Das braucht einfach Zeit. Ein Kind braucht neun Monate im Bauch zum Wachsen und Reifen. Auch ein Künstler braucht Zeit zum Wachsen und Reifen, um sich zu entdecken. Heute ist alles zu gewaltig und geht damit gegen die Kunst. In den Vordergrund wird das berühmt und reich sein gestellt, der Rest, wie Inhalt, Musik, Kunst steht immer an letzter Stelle. Das ist nicht meine Welt. Das alles hat sich in den letzten zehn Jahren entwickelt, ob es so anhält wird man sehen, aber ich finde es nicht gut. Beispielsweise gibt es so viele Castingshows, aber man kann keinen der „Gewinner“ mehr benennen. Der knallharte Grund für diese Shows: es geht nicht um das Wohl des Künstlers, es geht um Geld. Millionen werden verdient mit einer Lüge. Da sind meistens viele Gefühle im Spiel, wie Machtgefühle. Der Zuschauer kann ein Machtgefühl spüren, wenn er für seinen Kandidaten stimmt. Viele dieser Shows sind von Anfang an inszeniert, es gibt einen Bösen, einen Helden, einen Retter. Das sind Grundcharaktere, wie es sie schon in der Antike gab; das moderne Fernsehen macht im Prinzip nichts anderes, es ist nur anders verpackt: Es gibt die Zicke, den sympathischen Helden, den Bösen. Im Prinzip immer noch eine Show im Colosseum.
5vier.de: Wie sehen Sie die Verstrickung von persönlicher Entwicklung und der eigenen Kunst?
Patricia Kelly: Eine gute Frage, die mir noch nie gestellt worden ist. Ich glaube schon, dass die Kunst untrennbar ist von der Entwicklung des Menschen. Das heißt aber nicht, dass wenn ein Mensch in einer super Phase seines Lebens ist, er auch tolle Kunst macht. Sehr oft sogar macht er in einer schwierigen Phase die besten Kunststücke. Ein Freund von mir ist Kunstexperte, der hat das oft beobachtet und ich habe es bei mir selbst schon bemerkt, bei Problemen oder Leid. Kunst ist wie ein Ventil oder sogar eine Therapie. Sie ist dabei der Ausdruck dessen, was der Mensch gerade durchmacht. Deshalb glaube ich, dass man Person und Kunst nicht trennen kann.
5vier.de: Sie selbst haben viele Schicksalsschläge erfahren und überwunden. Aus eigener Erfahrung: Wieviele Songs braucht man um diese zu verarbeiten? Wieviele Songs umfasst ein Leben, vom Wiegenlied bis zum Requiem?
Patricia Kelly: Ich weiß es nicht, ich habe auch nicht alle Antworten. Jeder Mensch ist zum Glück anders, wir sind wie ein Mosaik-Gemälde. Jeder hat zwar seine Rolle auf dieser kleinen Erde, aber wir sind eben alle verschieden und nur daraus ergibt sich ein Gesamtbild. Jeder verarbeitet auch anders, manche brauchen drei Songs, andere 300. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in manchen Kompositionen mit einem Song 1000 Songs geschrieben sind. Dann ist ein Song so tiefgreifend und vielseitig, dass es eben ausgereicht hat für 1000 Songs, weil er mich tausendfach erfüllt und bereichert hat. Da geht es nicht um die Quantität, sondern um die Qualität.
5vier.de: Sie sind beheimatet in der Folk-Music, arbeiten aber wieder und wieder mit Jazz. Jazz und Folk: Zwei Welten oder direkte Nachbarn?
Patricia Kelly: Nachbarn! Eher noch Brüder, Schwestern. Folk ist, wenn man so will, der Ursprung aller Musik, auch der Ursprung klassischer. Es ist das, was war, bevor es sich zu allem anderen weiter entwickelt hat. Dabei nicht primitiv, sondern ganz einfach, auf eine positive Weise. Nicht alles, was gut ist, muss kompliziert sein. Ich liebe die Folkmusik sehr, aber sie kann jeden treffen, eben weil sie sehr einfach ist. Die Linien der Musik sind sehr geradlinig. Jazz ist eigentlich ein Gegensatz, denn er ist sehr verstrickt, er ist eine Weiterentwicklung. Sie mischen sich allerdings sehr gut, mischen sich sogar hervorragend. Ich experimentiere gerne mit Jazz, mein Vater hat Jazz schon geliebt, aber besonders fasziniert haben mich Freunde, die ich über den Jazz kennengelernt habe. Und ihre Lebensphilosophie: das sind echte Künstler, die für ihre Musik leben. Wer Jazz macht, macht dies aus purem Idealismus. Vor einem Auftritt kamen sie damals in alten Autos und alten Jeans zu Proben, aber sobald sie ihre Instrumente in die Hände nahmen, haben sie losgelegt. Das hat mich inspiriert. So kam die Mischung zustande. Und es gibt viele gute Jazzmusiker, die offen sind für Crossovers.
5vier.de: Auf Thomas Schwabs Homepage heißt es in Ihrem Pressetext, Sie befinden sich „auf einer langen, längst nicht vollendeten Reise“ – Was sind ihre nächsten Stationen?
Patricia Kelly: Ich habe letztes Jahr ein Buch geschrieben, meine Biographie, „Der Klang meines Lebens“ heißt sie. Sie ist momentan auch auf der Spiegel-Bestsellerliste und ein großer Erfolg, für das ich auch sehr schönes Feedback bekomme. Ich wollte das unbedingt machen. Ich habe mir 2013 eine Auszeit genommen, um es zu schreiben. Es gibt Sachen, die ich unbedingt machen möchte, das Buch war eines davon. Nun ist eine CD in Planung, mit neuen Kompositionen, die ich in den letzten Jahren gesammelt habe. Ich habe sehr viel komponiert und hoffe, dass ich die CD schon im nächsten Jahr rausbringen kann. Das ist etwas, worauf ich mich sehr freue, weil ich weiß, dass ich es auf jeden Fall schaffen kann. Die Frage ist nur, wann im nächsten Jahr. Ansonsten bin ich auf Lesetour, die eine Mischung aus Lesung und Akkustiksongs ist; wegen der großen Nachfrage ist im Herbst eine längere Tournee in Planung.
5vier.de: Apropos Reise: Sie sind viel herumgekommen, wurden in Spanien geboren, haben einen irischen Pass, lebten in Frankreich und vielen anderen Ländern, sprechen sechs Sprachen: Aus welchen Teilen der Welt besteht ihre innere Heimat?
Patricia Kelly: Wir haben ein Haus gekauft und dieses Gefühl, jetzt sesshaft zu sein, ist in der Tat total schwierig für mich. Ich weiß, dass es vernünftig ist und das Beste für die Kinder und meinen Mann, aber da merke ich einfach den alten Hippie in mir leben. Ich liebe es zu reisen und immer woanders zu sein. Deswegen würde ich sagen, dass Europa meine Heimat ist. Ich kann da gar kein einzelnes Land benennen. Ich bin sehr multikulti aufgewachsen, kann sechs Sprachen sprechen, habe überall mal gelebt und jedes Land und jede Sprache, jede Kultur schätzen gelernt. Ich sehe mich als Europäerin, ich bin in Spanien geboren, habe einen irischen Pass, aber bin in Europa groß geworden. Das ist schön, aber nicht immer leicht: Wenn ich in Deutschland bin, vermisse ich Frankreich und wenn ich dann in Frankreich bin, vermisse ich Deutschland. (lacht)
Aber meine wahre Heimat ist in den Armen meines Mannes. Da bin ich wirklich Zuhause, egal wo das ist. Das habe ich auch in einem Lied verarbeitet. Sinngemäß heißt es da, bei dir im Arm zu sein, ist wie Hotel Hilton, auch wenn wir unter der Brücke sind. Das ist mein Zuhause: mein Mann und meine Kinder um mich zu haben. Aber wenn ich mir ein Land drum herum zusammenstellen könnte wäre es eine Mischung aus der Landschaft Irlands, einem Haus aus Spanien und Nachbarn aus Frankreich. Eine bunte Mischung eben und ein Bild, dass man gar nicht richtig beschreiben kann.
5vier.de: Wie wirkten sich die vielen Reisen auf Ihre Persönlichkeit und somit auf Ihre Musik aus?
Patricia Kelly: Sie hatten einen großen Einfluß auf meine Musik und meine Persönlichkeit und haben es immer noch. Reisen macht lebendiger, vielfältiger und offener. Es prägt enorm, man wird einfach weltoffener und sieht gewisse Dinge ganz anders. Die Welt ist eben nicht nur das, was man sieht. Wenn man reist merkt man schnell, dass das, was in einem Land ganz normal und Gang und Gäbe ist, in einem anderen Land eben nicht normal ist. Es macht offener für neue Perspektiven. Auch meine Kinder gehen auf eine kulturell offene Schule, das prägt. Man ist gewohnt, dass Unterschiede gar nicht so unterschiedlich sind. Was manche Leute als völlig fremd ansehen, ist in einem anderen Land alltäglich. Man wird offener für das anders sein.
5vier.de: Mit Thomas Schwab an historischer Stätte auftreten: Wieso befüllt Musik mehr denn je historische Stätten?
Patricia Kelly: Ich denke einfach, dass sich die Kulturstätten jetzt mehr dafür öffnen. Künstler wollten ihre Kunst immer an schönen Stätten präsentieren und die Städte sind nun offener dafür, Events an diese besonderen Orte zu bringen. Man arbeitet an einem solchen Ort mit allen Sinnen und das beeinflusst natürlich auch die Sinne des Sehens. Das beeinflusst dann wiederum, was man hört. Es bereichert sich gegenseitig und macht diese Events zu etwas Besonderem. Zum Beispiel ist es ja etwas ganz anderes, ein Konzert in einem Büro in kaltem Bürolicht zu halten, dass beeinflusst auch wieder die Sinne und die Eindrücke und die Künstler. Ein besonderer Ort inspiriert eben auch den Künstler; die waren dafür immer offen und die Städte gewinnen langsam mehr Vertrauen in die Leute, dass eben nichts Schlimmes oder Unangemessenes an so einem Ort passiert.
5vier.de: „In diesem Moment“ ist der Titel des Konzerts – welchen Moment genießen Sie während eines Konzerts am meisten?
Patricia Kelly: Während eines Konzerts gibt es meist einen innerlichen Aufbau: Am Anfang strengt man sich sehr an, man kurbelt sich nach oben. Eine Maschine geht innerlich an, das gibt Energie, Emotionen und Herz. Dann kommt ein Moment, in dem man auf dem Gipfel ist. Das ist in jedem Konzert anders, aber es gibt immer einen Moment, in dem man spürt, jetzt fliege ich und muss mich nicht mehr anstrengen. Wie ein Vogel, der einfach die Flügel ausbreitet und losfliegt. Das sind Momente, in denen man nicht viel denkt, man ist einfach da und geht mit, ein sogenannter Flow-Moment. Es gibt Konzerte, in denen man diese sehr deutlich spürt, bei anderen ist es wieder weniger deutlich, aber ich mache diese Erfahrung immer wieder. Das ist ja auch das eigene Ziel eines Konzerts, dieser Moment in dem man fliegt. Indem man einfach die Stimme rauslassen kann ohne intellektuelle Anstrengung. Das ist das, was ich anstrebe und wonach ich immer wieder strebe, weil es ein unglaubliches Glücksgefühl hervorruft, fast wie eine Sucht oder eine Droge. Und das Publikum spürt das auch; dann weißt du, du hast es geschafft.
5vier.de: Und welchen Moment an einem ganz normalen Tag?
Patricia Kelly: Es gibt normale Tage, wie das Leben eben so ist, wo man mal traurig ist oder glücklich, die mal anstrengend sind oder nichts besonderes. Tage wie jeder sie hat. Künstler sind ja ganz normale Menschen, nur haben sie mit ihrer Kunst die Möglichkeit, sich dieses Glücksgefühl zu holen, diese Erfüllung zu spüren. Ich merke das zum Beispiel auch daran, wenn ich auf Tour war und heim komme, bin ich viel glücklicher, lache mehr. Es hat so eine positive Wirkung, man ist viel erfüllter und ruht in sich selbst. Ich bin generell ein positiver Mensch, springe morgens aus dem Bett und freue mich auf den Tag. Und ich liebe meinen Job. Klar gibt es auch mal Hürden, die man überstehen muss, aber ich freue mich einfach auf jeden einzelnen Tag. Zudem habe ich sowieso immer mehr zu tun, als ich schaffen kann. Langeweile kenne ich einfach nicht. Das ist nicht meine Natur, nicht mein Ding.
5vier.de: Ihr Wunsch fürs Konzert am 26. Juli?
Patricia Kelly: Schönes Wetter. Ich freue mich, wieder mit Thomas und seiner Band auf der Bühne stehen zu können. Thomas ist ein sehr guter Freund geworden, mit dem ich wirklich gerne auf Tour bin und mit dem es einfach Spaß macht auf der Bühne. Ich habe mich bei ihnen einfach wohl gefühlt, es war fast wie die eigene Familie, ganz kurios. Ich freue mich auch auf das Publikum in Trier, das sicher toll sein wird. Es wäre natürlich schön, wenn abends die Sterne leuchten würden und kein Regen fällt, aber wir werden so oder so da sein und alles geben.
Fotos: Santana Music Production // Susanne Heraucourt
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