In unserer Reihe „Außergewöhnliche Studiengänge“ betrachten wir dieses Mal die Jiddistik. Gerade lief ein Jiddisch-Intensivkurs an der Universität Trier und 5vier.de nutzte die Gelegenheit, um sich die Sprache und den Studiengang einmal genauer anzusehen.
Es klingt alles ein bisschen fremd und doch ziemlich vertraut. Fast könnte man glauben, dass es gar keine eigene Sprache ist, die man hört, denn so ähnlich klingt sie für unsere Ohren: Jiddisch. Tatsächlich entstammt das Jiddische dem germanischen Sprachzweig und ist vor circa 1000 Jahren aus dem Mittelhochdeutschen mit Einflüssen aus dem hebräischen, aramäischen, romanischen und slawischen entstanden. Kein Wunder also, dass man als Hörer meint ganze Sätze ohne Probleme verstehen zu können und doch oft an einzelnen Worten scheitern muss. In Trier besteht die Möglichkeit diese alte Sprache zu studieren, zwar nicht als einzelnes Fach, aber als Teil der Germanistik. Aus organisatorischen Gründen wurde die Jiddistik dieser zugeordnet, trotzdem können Studenten ein Studium der Jiddistik vertiefen und sogar eine Bachelor- und Masterarbeit in diesem Teilgebiet schreiben. Eine lohnende Sache, bedenkt man doch, dass man schon während des Studiums schnell in die Forschung einsteigen kann. „Es gibt noch viele Texte zu denen kaum wissenschaftlich gearbeitet wurde.“ so Prof. Dr. Simon Neuberg: „Zudem sind die Betreuungsmöglichkeiten angesichts der kleinen Zahl der Studierenden sehr gut.“ Klingt in Zeiten von überlaufenen Hörsälen nach traumhaften Zuständen. Warum sollte man sich denn noch für ein Studium der Jiddistik entscheiden? Was „bringt“ einem das?
Interessant für viele Bereiche
„Jiddistik ist als Zusatzqualifikation für viele Bereiche interessant. Zum einen für Sprachhistoriker, aber zum Beispiel auch für Studenten der Geschichte, denn durch die Außenseiterposition der Sprache und Sprecher sind die Texte als Quellen meistens sehr interessant. Ein bisschen Jiddisch kann ich eigentlich jedem empfehlen“, scherzt Professor Neuberg. Er selbst kam per Zufall ans Jiddische, sehr früh schon fiel ihm ein Buch in die Hände, in einer Sprache, die sofort sein Interesse erweckte. Dabei hatte er sie daheim in Casablanca nie gehört. In der Schule war Deutsch seine erste Fremdsprache, nach der Schule beschloss er sie zu studieren, um sich drei Jahre später um die Stelle eines Fremdsprachenassistentin an einem deutschen Gymnasium zu bewerben. Gezielt nach Trier, denn von hier war ihm abermals ein Buch in die Hände gefallen. Ein Manuskript über eine Jiddistik-Konferenz aus den 70er Jahren. In Trier konnte man also Jiddistik studieren. Er bewarb sich auf die Stelle in einem mittlerweile nicht mehr existenten Gymnasium und wurde tatsächlich genommen. Eine glückliche Fügung. Eine weitere glückliche Fügung war, dass er nur morgens ins Gymnasium musste und die meisten Jiddistik-Veranstaltungen am Nachmittag waren. So konnte er arbeiten und gleichzeitig fast alle Seminare besuchen und das erste mal geordneten Jiddisch-Unterricht erhalten.
Der jetzige Intensivkurs ist mit nur vier Leuten eher klein geblieben, doch dafür sind die Beweggründe an ihm teilzunehmen umso vielfältiger. Madi beispielsweise absolviert gerade ein Auslandsstudium in Trier und sieht den Kurs als eine gute Möglichkeit, um kostengünstig eine neue Sprache zu lernen. Monika ist aus reinem Privatvergnügen hier, sie hatte schon immer ein besonderes Interesse für jiddische Lieder und möchte nun ihr Textverständnis verbessern, um einen tieferen Einblick in die jiddische Musik zu gewinnen. Mirko hat bereits zwei Jahre in Israel verbracht, kann also schon etwas Hebräisch. Bei dem Intensivkurs weiß er noch nicht, ob dieses Wissen eher hilfreich oder eher verwirrend ist. Er überlegt nun ob er sein Germanistik-Studium mit einem Jiddistik-Schwerpunkt belegen soll.
Interesse zählt
Wer ist nun für ein Jiddistikstudium geeignet? Wer Angst hat, ebenfalls erstmal zwei Jahre in Israel verbracht haben zu müssen, der sei beruhigt. Wer sich zu einem Studium der Jiddistik entscheidet lernt alles von der Pike auf. Am Anfang stehen natürlich Einführungsseminare, in denen Basiswissen vermittelt wird. Darauf folgen Seminare, in denen Kultur vermittelt wird, Sprachkenntnisse vertieft und Texte besprochen werden. Was man mitbringen muss ist nicht unbedingt Wissen, was natürlich nie von Nachteil ist, wegweisend ist aber erst einmal Interesse. Wie bereits gesagt ist Jiddisch aber natürlich auch für Studenten anderer Studiengänge von Interesse, was man auch daran sieht, dass Masterarbeiten oft vergleichend aufgebaut sind. Geschichtsstudenten, die verschiedene Texte miteinander vergleichen und jiddische Texte dabei eine nicht unbedeutende Rolle spielen oder Sprachhistoriker, die Veränderungen dieser Sprache über die Jahrhunderte hinweg unter die Lupe nehmen, werden schnell fündig. Schwerpunkte an der Uni Trier sind dabei historische Grammatik, Semantik, Lexikographie, Phraseologie, Edition älterer Texte, die Kontrastierung der jiddischen und deutschen Sprachgeschichte, die jiddisch-deutschen Sprachbeziehungen und die Wissenschaftsgeschichte der Jiddistik.
Leider hat die Bachelor-Umstellung auch diesem Studiengang nicht unbedingt gut getan. Für viele kleine Studiengänge hat der Bachelor die nötige Flexibilität verschlechtert. Trotzdem bleibt die Jiddistik durch ihre überschaubare Anzahl an Studierenden offen für die Bedürfnisse ihrer Studenten. Eine persönliche Art zu studieren. Ein kleines Stückchen Freiheit muss man sich immerhin trotz aller Reglemtierungen und Vorschriften erhalten können. Wer also Interesse für eine außergewöhnliche Sprache und faszinierende Kultur mitbringt und zudem auf eine persönliche Betreuung wert legt, der sollte die Jiddistik als Studiengang einmal ins Auge fassen.
5vier.de wünscht allen jüdischen Bürgern in Trier und Umgebung ein fröhliches Rosch ha-Schanah, das an diesem Wochenende stattgefunden hat. Willkommen im Jahr 5773.
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