Der dritten Teil des Erlebnisberichts unserer 5vier-Redakteurin Cassandra Arden, die seit einigen Wochen in Stockholm studiert.
Eine Stadt am Wasser hat diverse Vorteile. Nicht nur die alltäglichen, äußerlichen Vorteile, sondern eben auch ganz praktische. Schiffsverkehr! Da ich als Studentin nun natürlich nichts mit Import und Export zu See zu tun habe, geht es mir nicht um die industriellen Vorteile, sondern um die touristischen.
Von Stockholm aus fahren Fähren nach zum Beispiel Tallinn und Riga. Es ist schier unglaublich, wie günstig man eine Kabine für vier Personen buchen kann und das auf einem – ohne zu übertreiben – Traumschiff.
Für umgerechnet circa 25 Euro sind wir sowohl nach Tallinn, als auch nach Riga und zurück gefahren. Harte Konkurrenz für billige Fluggesellschaften. An dieser Stelle auch einen Gruß an den Schienenverkehr. Davon abgesehen, dass es auch seinen ganz eigenen Reiz hat, wenn der Dampfer ablegt und man die wunderschöne Landschaft vor Stockholm mit all ihren mehreren tausend kleinen Inseln bewundern kann.
Tallinn – Kulturhauptstadt 2011
Bei strahlendem Sonnenschein haben wir abgelegt und sind über Nacht erst der estischen und ein paar Wochen später der lettischen Hauptstadt entgegen geschippert. Tallinn hat knapp über 400 000 Einwohner und hat einen wunderschönen mittelalterlichen Stadtkern. Das Rathaus wurde bereits im 13. Jahrhundert errichtet und schmückt den Rathausplatz. Hier findet man auch eine der zwei ältesten Apotheken in Europa, die noch betrieben werden.
Von der ebenfalls im 13. Jahrhundert errichteten Stadtmauer kann man noch immer beachtliche Überreste entdecken und innerhalb dessen fühlt man sich tatsächlich in der Zeit zurückversetzt. Makronenstände, die von mittelalterlich gekleideten Verkäufern betrieben werden prägen das Stadtbild. Von der Stadt innerhalb der Stadt war ich sehr beeindruckt, vor allem dass die jahrhundertealten Gebäude so gut erhalten sind, ist ein Traum für jeden, der sich auch nur annähernd für Architektur interessiert.
Bewegt man sich allerdings aus der Altstadt heraus, spürt man noch sehr deutlich die Reste der ehemaligen Sowjet Union. Eine Freundin von mir lebt für drei Jahre in Tallin und sie erzählte mir, dass ein Drittel der Bevölkerung russisch ist und sich die meisten auch als Russen und ganz und gar nicht als Esten fühlen und auch die Sprache nicht oder kaum sprechen. Estland wurde erst 1991 während des Moskauer Putsches nach 51 Jahren russischer Besetzung zur unabhängigen Republik Estland. Viele Gebäude erinnern an die Russifizierung Estlands, darunter die Alexander-Newski-Kathedrale. Viele Esten können sich noch immer nicht mit der russisch-orthodoxen Kirche anfreunden und es wurde vielfach diskutiert sie einzureißen. Allerdings ist das nun über 100 Jahre alte Gebäude ein Touristenmagnet und ein Sinnbild der Estnischen Geschichte. Als ich vor dem gigantischen Bauwerk stand ging es mir allerdings auch so, dass ich den Gedanken nicht los werden konnte, dass diese durch und durch russische Architektur so gar nicht zu den so anderen Gebäuden passen will.
Im Gegensatz zu Tallinn erinnerte mich, als ich so durch Rigas Altstadt bummelt so gar nichts an die ehemalige russische Besetzung. Genau wie Estland erlangte Lettland 1991 ihre Unabhängigkeit zurück. Im Stadtkern allerdings hatte ich den Eindruck, dass davon wenig Spuren übergeblieben sind. Wunderschöne Gebäude säumen die gesamte Innenstadt und prägen das Straßenbild mit ihren zahlreichen Fassaden im Jugendstil. Natürlich reicht ein Tag nicht aus eine so relativ große Stadt kennenzulernen, es war mehr ein persönlicher Eindruck, den ich hatte.
Während Tallinn Anfang des Jahres den Euro eingeführt hat, bezahlt man in Lettland noch mit Lats. Ein Euro sind ca. 0,7 Lettische Lats. Eine Einführung des Euros war zwar für 2008/2009 geplant, wegen der andauernden Inflation ist jedoch nun kein fester Termin in Aussicht.
Mit über 700 000 Einwohnern ist Riga die größte Stadt im Baltikum. Allerdings sinkt die Einwohnerzahl seit 1990 kontinuierlich. Das wird darauf zurückgeführt, dass nach dem Zerfall der Sowjet Union und der Unabhängigkeit Lettlands große Teile der russischen, ukrainischen und weißrussischen Bevölkerung auswandern.
Zwischen den Ländern
Als unsere Fähre gegen Abend wieder ablegte, waren wir uns einig, dass Riga auf jeden Fall eine Reise wert ist und es schön gewesen wäre, wenn wir noch etwas mehr Zeit in der Lettischen Hauptstadt gehabt hätten.
Zurück auf dem Schiff, bilden sich große Schlangen vor dem Duty Free Shop. Auf dem Baltischen Meer befinden wir uns außerhalb der Hoheitsgebiete und somit im Paradies für schwedische Studenten auf Zeit. Alle Genussmittel sind Steuerfrei und als ich so meine Mitreisenden betrachtete musste ich schon schmunzeln, wie sie literweise Bier in ihre Kabinen karrten. Immer wieder wurde man Zeuge von Diskussionen darüber, wie vie Liter und wie viel Stangen Zigaretten man wohl mitnehmen dürfe.
Ab fünf Kartons Dosenbier a 20 Dosen bekam man eine Sackkarre dazu. Es ist unglaublich wie viele Sackkarren ich an diesem Tag gesehen habe. Ich habe mich dann immer gefragt, ob sie sich wohl überlegt haben, wie sie ihre Errungenschaften vom Schiff in ihre Studentenbude bekommen. Da Sackkarre ein Euphemismus für das Drahtgestell wäre, urteilte ich, dass ihre Augen wohl größer waren als ihre Leber. Ich war einfach froh, dass ich kein so großer Biertrinker bin.
Und doch grenzt es an ein Soziologiestudium, wenn man zwei Mal zwei Abende auf so einem Cruise verbringt. Zwischen Ballermann Mentalität und Sternerestaurant, zwischen betrunkenen Jugendlichen und Familien, irgendwo zwischen Disco und schwankendem Boot, ist es allemal eine Erfahrung wert, weswegen ich mich auf die dritte und letzte Reise nach St. Petersburg mit Zwischenstopp in Helsinki freue. Ja eine Hafenstadt hat ihre Vorteile, nicht nur dass wir die Möglichkeit haben Metropolen in Osteuropa relativ günstig zu erkunden, es ist auch eine schöne Art zu Reisen, auch wenn Fliegen einen schneller ans Ziel bringt; wer sagte noch „Der Weg ist das Ziel.“?
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