Nach dem Interview mit Schauspieler Peter Singer geht es nun weiter mit einem Interview mit zwei Sängern des Theaters. Den einen werden viele bereits kennen: Tenor Thomas Kiessling. Die andere kommt frisch von der Uni und bestreitet hier in Trier ihr erstes Festengagement: Claudia Denise Beck. 5vier.de-Redakteurin Stefanie Braun hat sich mit beiden unterhalten.
5vier: Wie wird man SängerIn?
Beck: Ich war vorher als Verwaltungsbeamtin tätig und habe dann aber gemerkt, dass täglich acht bis neun Stunden im Büro zu sitzen nicht mein Ding ist. Da kam ich auf die Idee einen Bruch zu machen. Ich habe auf dem zweiten Bildungsweg mein Hobby zum Beruf gemacht. Nach einer Vorbereitungsphase habe ich eine Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Freiburg bestanden. Ein Gesangsstudium dauert, je nach Hochschule, zehn oder zwölf Semester. Am Ende des Studiums singt man bei Agenturen vor, die die Sänger an die Theater vermitteln. Es gibt allerdings auch Sänger, die privat studiert haben, also niemals an einer Musikhochschule immatrikuliert waren und es trotzdem geschafft haben, in diesem Beruf erfolgreich zu sein – was allerdings eher die Ausnahme ist.
Kiessling: Bei mir war es so, dass ich aus einer musikalischen Familie komme: mein Großvater war Dirigent, mein Vater Organist und mein älterer Bruder ist Rock- und Jazz-Musiker. Ich bin mit Musik aufgewachsen und habe im Theater Trier bereits mit 5 Jahren im Kinderchor angefangen. Damals hatte das Theater noch Geld für einen eigenen Kinderchor. Ich bin im Theater groß geworden und da hat sich bei mir die Frage sehr schnell erübrigt, was ich machen will. Von Haus aus bin ich noch gelernter Buchhalter; bei uns in der Familie ist es Bedingung, dass man einen Beruf mit einem traditionellen Werdegang lernt und sozusagen ein zweites Standbein hat. Ich war nur ein Jahr lang fest an einem Haus – bin dort allerdings sehr unglücklich gewesen, weil ich nie die Partien gesungen habe, die ich wollte. Ich habe dann gekündigt, bin seit über 28 Jahren freischaffend und komme eigentlich sehr gut über die Runden. Ich bin Tenor, das ist ein Fach, was nicht sehr stark besetzt ist und von Sängern nicht sehr frequentiert wird. Über all die Jahre habe ich mir einen ganz guten Namen geschaffen, liebe diesen Beruf und bin sehr glücklich.
5vier: Wie wichtig ist ein zweites Standbein?
Beck: Ich halte es schon für sehr wichtig, ein zweites Standbein zu haben. Es gibt viele Sänger, die ihren Beruf aus gesundheitlichen Gründen oder beispielsweise aufgrund eines Unfalls aufgeben mussten. Das zweite Standbein ist ein Beruf, der eben Geld und Sicherheit bringt und einfach ein Plan B ist, den man in der Tasche hat.
Kiessling: Also für mich als Freischaffender ist es natürlich wahnsinnig wichtig, dass ich mich mit Buchhaltung auskenne. Ich bin ja nicht nur Sänger, sondern ich organisiere auch Veranstaltungen und Konzerte, da muss man auch einfach rechnen können und bei Gagen-Verhandlungen ist es ganz praktisch, dass ich den Beruf des Buchhalters inne habe. Und der ist teilweise auch sehr kreativ (lacht).
Beck: Mir hat meine Ausbildung in einer Verwaltung auch sehr geholfen, gerade was das Organisatorische während meiner Vorsing- und Bewerbungsphase betrifft. Falls mal „was sein sollte“, könnte ich mir sehr gut vorstellen im künstlerischen Betriebsbüro des Theaters zu arbeiten.
5vier: Wie entsteht überhaupt der Wunsch Sänger zu werden? Ist der schon immer da gewesen oder ist es mehr ein learning-by-doing?
Kiessling: Das wäre ja fatal, wenn das so funktionieren würde. Durch learning-by-doing kann man viele Jobs machen, aber bei dem Beruf des Sängers ist es nicht damit getan, dass man sagt, ich möchte das machen. Nur der Wille allein zähle für die Tat, aber da kommt man nicht sehr weit. Man muss von Haus aus schon eine Stimme haben, wenn man Sänger werden möchte und braucht dann Leute, die einen unterstützen. Das ging bei mir fließend dadurch, dass ich über die musikalische Familie laufend Kontakt hatte. Das ist wichtig und man braucht eben Leute, die einen immer wieder unterstützen und einen aufrappeln, wenn man denkt, dass es kritisch wird. Denn es ist immer noch ein sehr exotischer Beruf.
5vier: Wieviel wird in diesem Beruf vom Glück bestimmt und wieviel ist eigenes Schaffen? Inwieweit ist der eigene Wille überhaupt maßgebend?
Kiessling: Der ist ganz wichtig, weil Krisen im künstlerischen Beruf eigentlich alltäglich sind. Wenn ich z. B. ins Büro gehe und mal eine Nacht schlecht geschlafen habe, dann kann ich ein bisschen langsamer an Akten herangehen. Wenn ich eine Probe habe und die Leistung an dem Tag gefordert wird, dann muss ich auch springen. Man muss sich immer wieder selbst aus dem Sumpf raus holen und man braucht sehr viel Enthusiasmus und sehr viel inneren Mut um das jeden Tag aufs Neue zu bewerkstelligen. Man muss auch oft über den Dingen stehen und an sich glauben.
Beck: Du hast auch eben schon das Wort Glück in den Mund genommen. Die Bewertungen bei Vorsingen und Wettbewerben sind so subjektiv – da kann es mal vorkommen, dass ein ausgezeichneter Sänger eine Niederlage erfahren muss. Nicht nur das Talent spielt eine Rolle, sondern eben auch Glück.
Kiessling: Man muss teilweise einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein.
5vier: Wie war das bei dir, du hast ja auch gerade erst angefangen? Inwieweit bist du selber auf dieses Glück oder eben auch auf Pech gestoßen?
Beck: Dies ist mein erstes Festengagement und ich muss sagen, dass ich dahingehend Glück hatte, dass sich meine Partien in dieser Spielzeit steigern – nicht nur in der Länge der Partie, sondern auch was die Orchesterbesetzung betrifft. Ich habe somit die Möglichkeit „hineinzuwachsen“. Es gibt leider so viele junge Sänger in anderen Theatern, die in ihrer ersten Spielzeit zu schwierige und zu viele Partien singen und dadurch nach wenigen Spielzeiten stimmlich ermüdet sind.
Kiessling: Mittlerweile wird beim Theater viel besetzt wie es beim Fernsehen gemacht wird. Man fragt nicht mehr, kann der oder die Schauspielern das, sondern man sucht direkt den Charakter aus, den man braucht. Das fängt bei der Größe an oder beim Aussehen und hört bei der Haarfarbe auf.
5vier: Warum geht man als Sänger zum Theater und eben nicht ins Fernsehen?
Beck: Das ist etwas ganz anderes. Das ist genauso, als wollte ich Schauspieler werden und werde dann Darstellerin bei „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“. Es geht einem nicht darum, dass man berühmt werden möchte oder viel Geld verdienen will. Es gibt sowieso nur eine kleine Prozentzahl, die richtig viel Geld mit diesem Beruf verdienen. Man wird Opernsänger aus Passion.
5vier: Also es gibt auch keine Alternative zum Opernsänger? Nehmen wir jetzt mal als Beispiel verschiedene TV-Sendungen, in denen Dieter Bohlen beteiligt ist.
Kiessling: Ja, die Leute beim Dieter Bohlen sind ja auch nur Sternchen für eine absehbare Zeit, von der ersten Staffel kennt man weder das Gesicht, geschweige denn den Namen noch. Da geht’s gar nicht um die Kunst oder um die Sänger, sondern das ist eine Maschinerie, die Geld macht. Wenn ich tausend Leute vorsingen lasse, wird da wohl einer dabei sein, der singen kann. Da kommen wir wieder auf den Anfang zurück, ein bisschen muss man von Haus aus mitbringen und das kann man dann unterstützen. Aber wenn man das nicht weiter verfolgt, ist man auch ganz schnell wieder weg vom Fenster. Das sieht man auch an Leuten, die einen guten Ruf haben, die müssen auch ständig telefonieren und in Verhandlungen treten und sich ständig wieder beweisen.
5vier: Was schätzt ihr am meisten an diesem Beruf?
Beck: Dass man sich selbst weiterentwickelt. Man arbeitet sehr viel an sich, man beschäftigt sich viel mit sich selbst und findet ständig Neues über sich heraus – das finde ich sehr spannend und ich denke, dass es kaum einen Beruf gibt, bei dem das der Fall ist. Das ist auch mit einer der Gründe, wieso ich gedacht habe, dass ich mit meinem alten Beruf aufhöre und anfange Operngesang zu studieren.
Kiessling: Ich als Freischaffender bin dementsprechend viel unterwegs und da empfinde ich es als sehr spannend mich immer wieder auf neue Situationen einzustellen. Man darf jeden Tag neue Leute kennenlernen, neue Situationen. Man wird viel ungebundener, ungezwungener, man hat die Möglichkeit sich selbst als Mensch sehr intensiv kennen zu lernen und sich damit weiter zu entwickeln. Ich empfinde diesen Beruf oft als Dolmetscher. Wir übersetzen eine tote Notensprache in eine lebendige Sprache und dann haben wir das Glück, dass wir noch eine Interpretation mit eigenen Gefühlen dazu geben dürfen. Wir haben Regisseure, die uns leiten und an Tagen, an denen es uns nicht so gut geht, unterstützen.
5vier: Besteht da, ähnlich wie beim Schauspieler, die Gefahr dass man sich verliert?
Kiessling: Nein, ich muss Situationen nicht erlebt haben um sie auf der Bühne darstellen zu können, also in der Oper wird zum Beispiel sehr oft gestorben und ich muss nicht irgendwann mal tot gewesen sein um das darstellen zu können. Man wächst in die Rolle, es gibt auch Proben mit Tränen und es gibt Momente der Selbstfindung, in denen man an Situationen in seinem Leben oder in seinem Umfeld erinnert wird. Die können schmerzhaft sein, das ist aber auch das Tolle. Andere Leute müssen teure Therapien bezahlen und wir können das eigentlich gruppendynamisch in den Proben lösen. Und in der Regel hat man ein wirklich gutes Ensemble, das einen auffängt.
Beck: Das sehe ich genauso.
5vier: Ist es denn hilfreich oder eher behindernd, wenn man Situationen darstellen muss, die man selbst schon mal erlebt hat? Hemmt einen das im Spiel, da man nicht so viel von sich preisgeben möchte?
Kiessling: Wenn man nicht so viel von sich preisgeben möchte, kommt man an einen Punkt, an dem man Scham vor dem eigenen Wissen hat. Das muss jeder mit sich selbst klar machen. Da Situationen immer wieder anders sind, kann es hilfreich sein, wenn man eine Situation erlebt hat, aber man kann sie auch nur adaptieren. Man kann sie nicht eins zu eins umsetzen. Es ist ganz selten, dass man ein Gefühl, wie man es auf der Bühne braucht, schon mal genauso erlebt hat. Also muss man das so oder so immer wieder transformieren und umändern. Das läuft aber automatisch und irgendwann kann man das abrufen. Deswegen hat man ja so lange Proben. Wenn man jeden Tag auf der Bühne das durchleben muss, was man spielt, ist man am Abend tot. Und zwar nicht nur weil man auf der Bühne erschossen wird.
5vier: Wie ist das bei Ihnen, Frau Beck?
Beck: Natürlich, wenn man beispielsweise gerade vorher mit dem Freund eine Meinungsverschiedenheit hatte und singt etwas später das Duett am Ende des ersten Teils von „Trouble in Tahiti“, dann geht einem das schon nahe.
Kiessling: Es hängt, glaube ich auch vom Stück und von der Musik ab. Mozart verarbeitet man einfacher als beispielsweise einen Strauss. Manche Rollen bedürfen auch einer anderen Vorbereitung, auch emotional. Es gibt Hausaufgaben, die man zu Hause machen sollte und sobald sich dann seelische Wunden während der Arbeit ergeben, braucht man Bezugspersonen, die einen auffangen. Sei das ein toller Freund, eine tolle Freundin, eine tolle Frau, das kann auch mal ein gemeinsamer Kaffee sein. Man braucht einfach ein Team; aus wem dieses Team besteht entscheidet immer die Situation.
Beck: In diesem Beruf, in dem man fast täglich einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt ist, ist es ganz wichtig, Halt und einen Ausgleich beispielsweise durch Familie oder ein Hobby zu haben.
5vier: Wie leicht kriegt man in diesem Beruf überhaupt einen Halt, da es ja ein sehr unsteter Beruf ist? Man weiß ja auch oft nicht, wo man in der nächsten Spielzeit ist.
Kiessling: Andersrum wird ein Schuh draus, über den Halt hat man die Kraft den Beruf zu machen. Also ich investiere lieber Zeit in den Ausgleich. Wenn ich ausgeglichen bin, dann „fluppen“ die Sachen quasi von alleine, dann lern‘ ich schneller auswendig, dann bin ich empfänglicher für Kritik. Je mehr ich ausgleiche, umso belastbarer bin ich und umso mehr Freude und Spaß habe ich an der Arbeit.
5vier: Was sind denn die Nachteile des Berufs?
Beck: Was das Familienleben betrifft, denke ich, dass es problematisch sein kann – besonders wenn man Kinder hat. Wenn man im Ausland als Gast in einer Premieren-Produktion mitwirkt oder Ensemblemitglied an einem Theater wird, das mehrere hundert Kilometer entfernt ist, kann man dementsprechend selten nach Hause fahren.
Kiessling: Ich empfinde es manchmal als Vorteil und sehr erfrischend für die Partnerschaft. Es ist immer eine Frage der Organisation. Meine Frau arbeitet und wenn ich unterwegs bin, kann sie am Wochenende nachkommen. Dann haben wir den Vorteil von einem schönen Hotel oder einem tollen Wohnort mit Familienanschluss. Das ist klasse. Und jeder ist die Woche über mit sich und mit dem, was ihm wichtig ist beschäftigt und das Wochenende hat man frei füreinander und für eine Beziehung und Partnerschaft. Das ist oft spannend, zumal die Situation sich eben laufend ändert, da kommt keine Routine rein. Das empfinde ich als sehr angenehm.
5vier: Ein Tipp für junge Sänger?
Kiessling: Ganz wichtig für junge Menschen, die das wirklich machen wollen, ist sich ernsthaft um einen guten Lehrer zu kümmern und Lehrer zu haben, denen man vertraut. Auch ruhig mal Zweifel anmelden und sagen, wenn man etwas nicht versteht oder damit nicht zurecht kommt. Selbstbewusstsein entwickeln und auch Selbstvertrauen haben und wirklich mal sagen, dass man etwas eben nicht macht. Sich also nicht bedingungslos hingeben, das kann man mal phasenweise machen. Wenn das Vertrauensverhältnis stimmt, dann ist der Weg auch der richtige.
Beck: Was auch ganz wichtig ist, ist auf jeden Fall die Selbsteinschätzung. Es gibt viele Studenten, die von ihren Lehrern gepusht und gelobt werden und dementsprechend denken, wie toll sie sind und beim ersten Vorsingen feststellen müssen, dass sie doch große Defizite haben. Ganz einfach, weil viele während ihrer Studienzeit nicht „rausgegangen“ sind, also z.B. zu Wettbewerben oder zu Meisterkursen, um einen Eindruck zu gewinnen, auf welchem Niveau andere Sänger in ihrem Alter sind. Es ist wichtig mal „rauszugehen“ und sich auch mal andere Sänger anzuhören und nicht nur die eigenen Kommilitonen als Maßstab zu haben.
Kiessling: Tja, dieser Beruf ist eben kein Kindergeburtstag.
5vier.de bedankt sich bei Thomas Kiessling und Claudia Denise Beck für das Interview und wünscht ihnen für ihre Zukunft alles Gute und viel Erfolg!
Kommentar verfassen