Das Sommerloch: Ebbe in Sport, Politik und alle sind in Urlaub – worüber also schreiben? 5vier Reporter Lars Eggers gibt ein paar sinnvolle Tipps.
Ah – Sommer. Endlich kann man wieder ganz ungestört von wichtigen oder unangenehmen Artikeln die Zeitung aufschlagen und durchs Internet surfen. Zwar gibt es nichts gehaltvolles zu berichten, aber dafür weiß ich jetzt alles, was das internationale Jetset so in den letzten Wochen „getrieben“ hat – ja, dieses Wortspiel war leider Gottes nicht zu vermeiden.
Man kann fast den Sinn hinter dem Sommerloch erkennen. Foto: Lars Eggers
Wenn ich noch einmal eine renommierte Zeitung aufschlage und darüber lesen muss, welcher annähernd mit einem Adeligen verwandte Taxifahrer fast den Sittich eines Unterwäschemodels überfahren hätte, dann schwöre ich, es wird am nächsten Tag wieder einen exklusiven Bericht geben – über einen Großbrand im Verlagshaus der besagten Zeitung nämlich.
Ich kann ja verstehen, dass das Sommerloch mitunter etwas anstrengend für Journalisten sein kann – man kann nicht einfach mal gucken, was im Sport oder im Bundestag so los ist und eine flockige Meldung darüber schreiben – aber deswegen gleich auf das Niveau der Frauenzeitungen aus den 80ern sinken, die bei meinem Arzt im Keller staub fangen? Muss das sein?
Die Antwort lautet ganz klar: Nein! Das Sommerloch gibt uns die wunderbare Gelegenheit mal über den Tellerrand des üblichen Berichterstattungskanons hinauszublicken und mal zu sehen was sonst so in der Welt los ist. Hier mal ein paar nette Beispiele, von denen du vielleicht nie gehört hättest, wenn es das Sommerloch nicht gäbe.
One Night at Fukushima
Ihr erinnert euch noch an den Reaktor-Meltdown in Fukushima? Ist noch gar nicht so lange her, war eine fürchterliche Katastrophe – und das ist es auch immer noch! Nur weil wir nichts mehr davon hören, heißt es leider nicht, dass die Strahlung einfach verschwindet. Im Gegenteil. Wenn man mal ein wenig gräbt, so findet man Berichte über mit Cesium verseuchtem Fleisch, das in Japan auf dem Markt gefunden wurde, immer weiter steigende Zahlen an Strahlenerkrankungen und einer de facto non-existenten Nachsorge für die Opfer. Aber wen interessiert das, wenn der Cousin fünften Grades der Queen einen Reitunfall hat?
Wieder clean
Es ist doch Sommer. Warum nicht mal ein paar positive Nachrichten bringen? Ich werde euer Gedächtnis jetzt mal wirklich beanspruchen. Erinnert sich noch jemand an die Ölpest im Golf von Mexico? Ich weiß, ist lange her – ganze 15 Monate schon, solange kann man die größte Meeres-Katastrophe der Geschichte ja kaum im Gedächtnis behalten.
Aber das ist nicht der Punkt. Worauf ich eigentlich hinaus will, wäre das Sommerloch nicht eine gute Gelegenheit mal darüber zu berichten, dass der Golf von Mexico sich nach so kurzer schon fast vollständig von der Katastrophe erholt hat? Nach Tests der Ökologin Jessica Henkel von der Tulane University sind Wasserqualität und Gesundheitszustand von Flora und Fauna fast wieder auf dem Stand von vor zwei Jahren.
Das ist doch toll, oder? Sowas liest man doch gern im Urlaub.
Somalia – ein Gegenbeispiel
Das Sommerloch hat auch sein Gutes. Denn kaum hat es angefangen, da lesen wir auf einmal von einer Hungersnot und Massenflucht in Somalia. Die UN (die ganz nebenbei bereits seit Februar über die Dürre berichtet) spricht von mehr als elf Millionen Betroffenen in Somalia, Äthiopien, Kenia, Djibouti und Uganda.
Laut Aussagen der Hilfsorganisationen steckt Ostafrika seit Monaten in der schlimmsten Hungerkatastrophe seit 60 Jahren. Da bin ich ja wirklich froh, dass die Bundesliga Sommerpause hat und unsere Politiker fleißig Urlaub machen – wer weiß ob die breite Masse an Lesern sonst je von der Katastrophe erfahren hätte? Sicher ist: Das Sommerloch hilft. Seit Mitte Juni sind die Spendengelder an die Hilfsorganisationen nach Angaben der UN auf fast das Dreifache angewachsen. Als Grund wird die intensivere Berichterstattung in den Medien genannt. Danke Sommerloch!
Sommer- und andere Löcher
Zum Schluss noch einmal was zum sich gut fühlen. Das Meldungstief gibt mir hier die Gelegenheit über ein anderes Loch zu berichten, das – im Gegensatz zum Sommerloch – in den letzten Jahren deutlich geschrumpft ist. Die Rede ist vom Ozonloch über der Arktis. Das ist eben jenes Ozonloch, das den Deoroller zur dominanten Spezies gemacht und das Sprühdeo in die fast vollständige Ausrottung getrieben hat. Wäre es nicht schön zu wissen, ob all die Bemühungen einen Sinn hatten? Würdest du nicht gern im Schwimmbad liegen und lesen: „Hey, der Welt geht es besser, weil wir uns drum gekümmert haben“?
Ja, Sonne. Wir haben dich auch wieder lieb. Foto: Lars Eggers
Okay: Der Welt geht es besser, weil wir uns drum gekümmert haben. In den letzten Jahren ist das Ozonloch beständig geschrumpft und hat nun schon im Schnitt 16% seines Durchmessers einbüßen müssen. Australische Experten gehen davon aus, dass die Ozonschicht sich bis 2040 wieder vollständig regeneriert haben kann, wenn der FCKW Ausstoß weiterhin auf dem aktuellen Niveau verbleibt.
Und warum ist das so? Weil wir alle geholfen haben, die Treibgase so weit es geht zu verbannen. Eine Umweltschutzaktion, die durch Massenteilnahme von Privatpersonen und Industrie sichtlichen Erfolg hatte. Das ist doch ein Knüller!
Mit dieser guten Nachricht entlasse ich euch wieder ins Sommerloch und überlasse euch den alltäglichen Promi-Meldungen. Ihr müsst mich entschuldigen, ich habe gerade eine Zeitung aufgeschlagen und musste erfahren, dass Graf Zahl von der Sesamstraße heimlich geheiratet hat.
Ich gehe Streichhölzer kaufen.
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Claas meint
Wunderschöner Artikel – und das mitten im Sommerloch.
Wenn es jetzt noch sonnig wäre, würde ich mich zur Feier des schrumpfenden Ozonlochs glatt in die Sonne legen. Kommt aber auch alles wieder, da bin ich mir sicher.