Es ist der dritte September, ein Freitagabend, 23 Uhr, Tuchfabrik. Die letzten Zuschauer haben den Großen Saal verlassen, vor der ersten Reihe hat sich ein Stuhlkreis gebildet, Schauspieler, Bekannte und und Fans sitzen nebeneinander. Auf der Bühne steht jemand, hebt ein Sektglas und ruft: „Auf fünf Jahre Theatersport!“ Dann bringt sich das Ensemble selbst ein Ständchen; man hat allen Grund dazu.
In diesem Moment stehen sie seit einem halben Jahrzehnt für den Trierer Theatersport in der Tufa auf der Bühne – trotzdem war nichts Routine an diesem Abend. Zwei Stunden lang hatte der Saal unter dem Beifall und den Anfeuerungsrufen des Publikums gebebt, das in allen Altersklassen vertreten war, zwei Stunden lang wusste niemand so genau, was ihn erwarten würde – nicht einmal die Akteure selbst.
Das liegt freilich ganz in der Natur der Sache: Während sich im konventionellen Theater alles am Textbuch orientiert, wird hier alles mit der heißen Nadel gestrickt. Keine Zeile Dialog, kein Lied, kein Tanz existieren vor der Aufführung – alles wird improvisiert. Das bedeutet den höchsten Schwierigkeitsgrad für alle Schauspieler, die unter Zeitdruck alles an Kreativität, Fantasie und Aufmerksamkeit in die Waagschale werfen müssen, was sie haben.
Schauspielkunst aus dem Nichts
Zum Beispiel beim Song Contest: Schauspieler Jan Brunhöber soll den Beitrag für China mit dem vom Publikum vorgeschlagenen Titel „Mao Tse Tung“ zum Besten geben. „5 – 4 – 3 – 2 – 1 – Los geht’s!“, ruft das Publikum, und Brunhöber muss loslegen, Bedenkzeit gibt es nicht. Das Ergebnis tangiert die Grenze zur Nationalitätbeleidigung, aber – Hand aufs Herz – es ist verdammt witzig, und eben komplett improvisiert.
Wie probt man eine Theateraufführung, die aus dem Nichts entsteht? „Theatersport hat bestimmte Regeln und Rezepte, die immer gleich sind“, erklärt Tim Olrik Stöneberg, bekannt durch seine langjährigen Auftritte im Stadttheater, zugleich fester Bestandteil des Theatersport-Ensembles. „Diese Abläufe kann man üben, auch wenn das Ergebnis immer anders aussieht.“ Tatsächlich ist Theatersport alles andere als ein Spiel ohne Regeln. Zwei Teams à drei Schauspieler treten gegeneinander an und versuchen, sich gegenseitig zu überbieten. In Trier treten die „Dramatigers Trier“ gegen die „Shakespeare Moselsharks“ an – das Publikum entscheidet per Handabstimmung nach jeder Spielrunde, welches der beiden Teams besser improvisiert hat. Spielleiter Michael Nix moderiert durch den Abend und entscheidet mit dem Publikum, in welche Richtung sich ein Stück entwickeln soll. Es ist dieser Wettkampfcharakter, der aus dem Prinzip Improvisationstheater ein packendens Kräftemessen macht. Die Herausforderungen an die Schauspieler sind komplex – nicht nur blitzgescheit müssen sie sein, auch vielseitig. Da muss schon mal eine Oper aus dem Hut gezaubert werden, ein Tanz, ein Gedicht, vielleicht eine Talkshow. Aussetzer oder Versprecher sind unvermeidbar – sie gehören dazu, aber sie kommen erstaunlich selten vor.
The Show Must Go On
Das Publikum ist da, überhaupt lernt die Öffentlichkeit das Konzept langsam besser kennen. Man fragt sich, warum dem Theatersport die große Bühne verwehrt bleiben sollte: Wieso nicht auch mal im Stadttheater spielen? „Ich denke, wir haben unseren Platz hier gefunden. Die Zusammenarbeit mit der Tufa hat sich bewährt.“ Die Zuschauer sehen das offenbar kaum anders, mehr als die Hälfte sind an diesem Abend nicht zum ersten Mal hier, alle Plätze sind besetzt. Ein großes Stammpublikum ist die Lebensversicherung für den Theatersport in Trier, doch ob es fünf weitere Jahre werden? „Auf jeden Fall! Das Publikum ist da, neue Zuschauer kommen dazu, die alten werden bleiben“, lautet die hoffnungsvolle Prognose. Sicherheiten aber gibt es nicht – noch ist Theatersport ein kulturelles Nischenprodukt, das um seine Daseinsberechtigung kämpft.
Ob er wohl drei Lieblingsanekdoten aus über 60 Aufführungen zum Besten geben könne? Sicher, meint Stöneberg, und erzählt drauflos: Von dem Abend, als Kollege Nix den „Weng Tao“ gespielt habe, vom „Kuss der Muse“, von der „Liveschaltung ans Krankenbett“ oder „Mokka, dem Lieblingskalb“ – der Topdarbietung des Abends – und man erahnt nur, welche Blüten kreative Improvisation treiben kann.
Gewonnen haben an diesem Abend übrigens die „Shakespeare Moselsharks“, haushoch, weil im letzten Spiel gleich 15 Punkte vergeben wurden. Wirklich interessiert hat das Ergebnis wohl niemanden mehr; dafür war die Show zu gut – gewonnen haben sowieso alle, die dabei waren.
In diesem Jubiläumsjahr wird sich der Trierer Theatersport noch dreimal die Ehre geben: Am 20. Oktober, 27. November sowie 22. Dezember machen Nix und Kollegen die Bühne zur Wettkampfarena. Und außer den Terminen steht nur eines fest: Nächstes mal wird alles anders sein.
Bildnachweis: Tufa Trier
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