Mike Daiseys Monolog über Nerds, Globalisierung und die dunkle Seite des Apple-Wahns wird im Rahmen des Theater Festivals in Trier aufgeführt – und überzeugt.
Die Einführung vor dem Stück durch Anne-Kathrin Schulz von der Dramaturgie Dortmund lässt bereits vermuten, dass es sich bei „Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“ nicht um ein herkömmliches Theaterstück handelt. Der Autor Mike Daisey arbeitete meist eher wie Stand-up Comedian – ohne Textbuch, nur mit Ablaufplan. Das Stück sei ein Resultat auch eigenen Erfahrungen Mike Daisey, der sich selbst als großer Apple-Fan sieht, und den Erkenntnissen verschiedener Menschenrechtsorganisationen – etwas, dass man von einem Theaterstück eher selten hört.
Die Agonie und Ekstase eines Apple-Jüngers
Die Bühne mutet an wie der Keller eines echten Nerds: Kartons stapeln sich in Metallregalen, zwei alte Tische und wacklig aussehende Stühle – die Gestaltung von Antonella Mazza passt zu dem, was den Zuschauer erwartet. Und das ist ein dicker Mann im Karohemd, etwas unordentlich, aber immer in Bewegung. Mehr Schauspieler gibt es nicht, „Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“ ist ein reiner Monolog. Ein Monolog eines Technikbegeisterten, der Apple zu seiner Religion gemacht hat – und Steve Jobs zu seinem Heiland.
Die Beichte – das ist wohl die beste Beschreibung dessen, was sich vor dem Zuschauer abspielt – ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle und der Themen. Mal spricht der Nerd über die Geschichte Apples – den Anfängen, den Innovationen, der Firmengeschichte, mal verfällt er in Techno-Gerede, welches religiöser Ekstase gleicht. Er beschreibt die Kluft des „haben wollens“ und des „wirklich brauchens“, versprüht Fakten und Anekdoten aus der Biographie Steve Jobs‘ und bringt dem Publikum nahe, warum er ein so begeisterter Apple-Jünger ist. Aber es gibt eine Schattenseite: „Das Problem jeder Religion: Der Zeitpunkt, an dem man anfängt nachzudenken.“
Die dunkle Seite des iPhones
Der Nerd sieht eines Tages, so erzählt er, vier Bilder aus der Fabrik in Shenzhen, jener 14 Millionen Einwohner starken Stadt in China, in der 50 Prozent unserer Elektronik hergestellt wird. Der Wechsel zu den Geschichten über Arbeiter, die ein eingeschaltetes iPad als Zauberei bezeichnen, sich mit 16 Stunden Schichten die Gesundheit ruinieren und ohne Unterlass in endlos repetitiver Handarbeit die elektronischen Konsumgüter für den Westen herstellen, erschüttert durch die lebhafte und menschennahe Beschreibung. Der Nerd gerät ins Wanken, seine Religion bröckelt zwischen den riesigen Fabrikhallen und ihren endlosen Fließbändern. Die Konzernspitzen – auch Steve Jobs – sind nicht interessiert daran, dass hier ganze Generationen von chinesischen Menschen in einer „ökonomischen Lockstofffalle“ aufgerieben werden.
Das Publikum macht diese Achterbahnfahrt mit – war man eben noch beeindruckt davon, dass Steve Jobs und Wozniak mit ihren Basteleien den Papst anrufen konnten, zuckt es deutlich zusammen, wenn der Nerd einen kleinen chinesisch anmutenden Plastikvogel vom Kellerregal schubst, während er von der Selbstmordwelle beim Konzern Foxconn spricht.
„Dieser Abend ist ein Virus!“
Kann ein über 90 Minuten langer Monolog über Computer tatsächlich nicht langweilig sein?
Die Antwort ist: ja – und mehr. Die geschickte Regie von Jennifer Whigham aus dem Theater Dortmund lässt den Zuschauer immer wieder zwischen einem Lächeln und echter Bestürzung hin- und herschwanken, der ständige Wechsel zwischen der Eigenbetrachtung eine Apple-Jüngers, den Zuständen in Shenzhen und der Biographie Steve Jobs lässt keinen Platz für Längen oder Durchhänger – die Adaption des Textes von Mikey ist hier meisterhaft gelungen.
Die größte Rolle spielt hierbei ganz klar die einzige im ganzen Stück: der Nerd. Andreas Beck ist zu einhundert Prozent überzeugend – immer wieder muss man sich klar machen: Er ist nicht David Mikey, er war nicht wirklich in Shenzhen! Vor allem aber verkörpert Beck einen überzeugenden Technik-Jünger – keine einfache Aufgabe. Er versorgt insbesondere die älteren Zuschauer mit lebhaften Erinnerungen an summende Netzteile und kreischende Nadeldrucker und bindet immer wieder popkulturelle Anspielungen ein, als wäre dies tatsächlich seine Welt. Andreas Beck tigert auf der Bühne auf und ab, wird für einige Sätze zu Steve Jobs und als Apple-Gläubiger auch schon mal zu Gollum aus dem Herrn der Ringe. Beck lässt mit seiner ausdrucksstarken Stimme und Gestik sowohl die Pionierzeit der Computer, als eine fehlende Tastatur noch als Produktmerkmal galt, als auch die bedrückende Atmosphäre eines Slumgebäudes in China auf der Bühne lebendig werden.
„Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“ ist ein ungewöhnliches, lehrreiches und unterhaltsames Stück, das einen Drahtseilakt zwischen Nostalgie, Globalisierungskritik, journalistischer Recherche und autobiografischer Erzählung wagt und durch die Bank weg überzeugt.
Nicht nur für Nerds und Technikfreaks, sondern für alle Menschen, die einen Blick hinter die Kulissen der schönen neuen Elektronik werfen wollen, eine absolute Empfehlung.
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„Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“ wird heute Abend um 20 Uhr noch einmal im Vortragssaal der Fachhochschule Trier am Paulusplatz aufgeführt.
Weitere Infos zum Festival Maximierung Mensch sowie das komplette Programm findet ihr unter: www.maximierung-mensch.de
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