Birgit Scherzer ist meist ein Garant für bewegtes Theater, nicht nur wenn sie Tanztheater choreographiert und inszeniert, wie jüngst im Theater Trier bei der Umsetzung des Stückes „ROMEO UND JULIA“. Eine Inszenierung zwischen Vorstadtidylle und Großstadtdschungel.
Trier. Alles beginnt mit einer Projektion: Eine Nussschale von Boot schippert auf dem endlosen Ozean. Auf ihr stehen und sitzen viel zu viele Menschen für das Bisschen schwimmenden Holzes. Ein Schiff naht, um die Insassen des Bootes aufzusammeln. Keine Rettungsaktion im eigentlichen Sinne, denn die Menschen auf dem Boot sind Flüchtlinge.
Mit dieser Szenerie läutet Birgit Scherzer ihre Inszenierung von „Romeo und Julia“ im Theater Trier ein. Romeo als Flüchtling, der mit seiner Mutter und seinen besten Freunden ein neues Leben beginnen will. Während die Mutter, getanzt von Juliane Hlawati, das Flüchtlingsdasein nicht abstreifen kann und weiterhin mit dem gepackten Koffer durchs Leben zieht, fügt sich der Filius gut in seine neue Umgebung ein. Beinahe zu gut. Basketball auf der Straße spielen, vor wütenden Autobesitzern flüchten, deren Wagen man mit dem Ball beschädigt hat, sich auf private Barbequepartys bei den besser Gestellten einschleichen… Romeo und seine Freunde befinden sich am Rande der Gesetzlosigkeit, vogelfrei in einem Land, in dem ihre Eltern keinen Halt gefunden haben. Ganz anders geht es da Julia: Als Kind reicher Eltern will sie sich freistrampeln von den versteiften Konventionen, losboxen von den elterlichen Regeln. Kein Wunder, dass die beiden im jeweils anderen ihr perfektes Gegenüber finden.
Die Welt, die Scherzer mithilfe des Trierer Ensembles entwirft, ist nicht allzu weit hergeholt. Rastazöpfe und Barbequeschürzen markieren die Lebensumwelten, gebrochen wird dies immer wieder von archetypischen Merkmalen. Julias Vater mit seinen Barbeque-Gästen schwingt als Wikinger-Verschnitt nicht die Axt, sondern lieber die Grillzange. Sein kleines, braves Frauchen wiegt unterdes zusammen mit ihren Freundinnen die Babys im Akkord. Für die lebensfrohe, freigeistige Julia (Ayumi Noblet) ist diese Welt zu eng. Für den cleveren, verantwortungsbewussten Romeo (Rene Klötzer) ist seine Welt zu unbestimmt. Während sein Kumpel Mercutio, getanzt von Andres de Blust-Mommaerts, als schriller Paradiesvogel mit Drogen in Berührung kommt und sein Freund Benvolio (Susanne Wessel) in Tagträumen über eine Musikerkarriere stecken bleibt, wendet Romeo sich mehr und mehr ab von dieser Welt, was Mercutio schließlich zum Verhängnis wird. Nur gemeinsam waren sie stark. Birgit Scherzer zeigt hier, worin ihre eigentliche Stärke liegt: mittels Tanz und Choreographie kleine Charakterwelten aufzumachen. In Ensemblechoreographien das besondere aus jedem Einzelnen herauszukitzeln und eine Figur auf diese Weise stringent auszuformen.
Im Falle von Romeo und Julia bis zum bitteren Ende. Ohne die immensen Kraftakte der Tänzer wäre diese Ausformung allerdings nicht möglich. In der über zwei Stunden dauernden Inszenierung gibt es kaum Atempausen für diese, schon gar nicht für Rene Klötzer als Romeo und Ayumi Noblet als Julia, die mit unglaublicher Energie und Seele an ihre Parts herangehen. Beeindruckend auch Alister Noblet als Vater und Christin Braband als Mutter, in einer erwachseneren Rolle als sonst. Zu Herzen geht besonders die Trauersequenz der Frauen über Mercutio und Tybalt (Noala de Aquino).
Das Bühnenbild von Manfred Gruber zeigt zwei Welten in ihren krassesten Ausformungen: Das gut gestellte Idyll, welches stark an ein Barbietraumhaus erinnert und ein industriell anmutendes Gebilde à la Endzeitszenario. Die Kostüme von Gera Graf greifen häufig zu Tiersymboliken, wie bei dem Kätzchen-Kostüm für die „braven“ Gattinnen, zu Archetypen, wie bei dem Wikinger oder tendieren zu einer klaren Gegenüberstellung: Romeo trägt schwarz, Julia weiß. Dies ist der Aufteilung der beiden Welten mehr als dienlich. Generalmusikdirektor Victor Puhl schafft mit seinem Orchester eine schwung- und kraftvolle Grundlage.
Fazit: Obwohl das Stück naturgemäß die Tendenz zu Längen im Mittelteil hat, hat Scherzer hier eine beseelte Inszenierung geschaffen, die das Beste aus ihren Tänzern herausholt. Ein gelungener Auftakt für das Tanztheater-Ensemble in dieser Spielzeit.
Fotos: Marco Piecuch
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