Eigentlich hab ich alles zur Layla-Debatte gesagt und geschrieben. Dachte ich zumindest. Doch es ärgert mich, es regt mich echt auf! Und der Druck muss halt raus. Sorry dafür an alle (beiden) Leser dieser Kolumne.

Cancel Culture?
Jawoll, die Cancel Culture. Gleich mit ’ner Arschbombe mitten ins Becken rein. Mitten rein ins Betroffenheitsgetue der vermeintlich politisch Korrekten. Die Wohlstandskinder der 90er und 2000er, die sich für moralische Instanzen halten und vor lauter Langeweile, die der eigene Opportunistenjob und das Fertighaus in der Vorstadt bieten, anfangen anzuprangern. „Karen“ ist in Deutschland eben nicht immer eine Frau – das ist doch fast schon woke. Sie werden zu genau jenen Figuren, die der deutsche Durchschnittsprolet zu reizen versucht – sie sind „Hauptschullehrer-Reloaded“, und wer den Lehrer reizte war ein Schulhofheld. Es ist natürlich ein geiles Gefühl wenn man sich selbstgerecht drauf ausruhen kann, ja eigentlich nix böses zu fordern. Dann kann man auch im Netz mal ne große Klappe riskieren. Oder? Ich mache es ja auch gerade. Und ich muss sagen, egal, wie zuwider mir dieser Club der klugscheissenden Moralkeulenschwinger letztlich ist: Ich verstehe ihn nur zu gut, bin selbst zum Teil so. Ich bin nur kein Mitglied.
Leitkultur ?
Aus eigener leidlicher Erfahrung als Musiker im Unterhaltungssektor weiss ich, dass es vermessen wäre, alle Konsumenten von zweideutigen Partyschlagern als Vollidioten zu bezeichnen. Viel mehr haben viele Deutsche diesen „Vollidioten-Modus“ – Schalter, den sie umlegen, wenn sie sich vornehmen, Dampf abzulassen. Die einen tun es im Stadion (da habe ich schon wirklich reflektierte, kluge Leute völlig ausklinken gesehen), die anderen eben in El Arenal, Ischgl oder am Goldstrand – manchmal bis die Strohdächer brennen. Man hat sein Leben lang den Stock so tief im Arsch, dass man sich einen „Safe Place“ schaffen muss, um ihn mal raus zu ziehen. Und dann gibt es kein Halten mehr. Dann darf man endlich alles sagen! Endlich sich, natürlich „nur im Scherz“, über die den schlichten Geist überfordernde komplizierter werdende Welt aufregen. „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ – der meist gelallte Satz auf entsprechenden Parties, wenn man sich nicht gerade durchs Kamasutra der Ententanzderivate beim Mitgrölen von Assi-Hymnen schwankt. Es ist das „ich gehe hier doch nur spazieren“ des Ballermanns. Demokratie ist hier wohl das Hauptargument – und auch hier zeige ich Verständnis. Demokratie muss auch solche Proleten ertragen – kein rein deutsches Problem: u.A. Großbritannien und die USA leiden da kräftig mit, vielleicht sogar noch stärker. Aber auch hier fehlt mir der Mitgliedsausweis – und nope – ich will keinen.
Ja, was regt mich denn dann so auf an der ganzen Layla-Debatte?
2 Sachen, jedoch zunächst: es ist nicht nur ein strunzdummes Scheiss Lied, sondern auch ein strunzdummes Scheisslied. Nicht wert dass man drüber spricht. Genau wie „Hulapalu“, „Disco Pogo“, „zeig doch mal die Möpse“ etc. es nicht wert sind, dass man über sie spricht. Es wird hier aber zur großen Freude derer, die daran verdienen instrumentalisiert – any publicity is good publicity. Und diese Instrumentalisierung macht mich gelinde gesagt etwas fickerich!
Wer sich zur „ehrlichen Arbeiterschicht“ zählt, der teilt das Lied mittlerweile, um ein Zeichen zu setzen, das man sich nicht alles verbieten lassen will. Endlich kann man sich wieder durch lautes Konsumieren eines Songs als ehrlicher Rebell im Sinne der Meinungsfreiheit inszenieren. Zum letzten Mal ging das wohl in der Hochphase der „Böhsen Onkelz“, in der man von Fans in dem Moment, in dem man äußerte, diese Musik nicht zu mögen, mit Aussagen wie: „die sind doch gar nicht rechts“ etc. konfrontiert wurde, und es letztlich kein Verständnis dafür gab, dass man ungeachtet der politischen Zwielichtigkeit dieser Kapelle auch einfach nur deren Sound richtig beschissen finden kann. Durch das Hören eines Songs zum Partisanen der neuen Meinungsfreiheit zu werden ist sogar noch einfacher, als in Dresden Montags abends spazieren zu gehen-man muss ja nicht mal mehr irgend wo hin – der simple Hashtag reicht. Nimm das, Lutz Bachmann! Da kannst du von Ikke Hüftgold noch was lernen.
1.
Liebe Ballermann – Partisanen: Ich lasse Euch gern Euern Song. Und auch all die anderen Songs. Hört sie, grölt sie mit und seid dabei glücklich und besoffen. Vielleicht mach ich mal mit wenn ich selbst besoffen genug bin. Aber hört verdammt noch mal auf damit, Euch als Helden zu fühlen, weil ihr nicht akzeptieren wollt, dass dieser Song nicht überall angebracht ist – und wenn jemand ihn auf seiner Party nicht hören oder auf seiner Bühne nicht spielen will dann ist das sein/ihr verdammtes Recht. Ihr seid dadurch keine Helden dass Ihr das missachtet. Menschen auf der ganzen Welt sind für Meinungsfreiheit auf die Strasse gegangen, haben zum Teil Leib und Leben riskiert um sein zu dürfen, wer sie sein wollen. Und Ihr erdreistet Euch, Euch wegen dieses Drecksliedes in die Reihe dieser Menschen einzureihen? Is nicht. Überdenkt Eure Definition von Meinungsfreiheit bitte mal. Und lebt damit dass es Leute gibt die Eure Art, zu feiern nicht mögen. Muss ja auch nicht jeder.
2.
Liebe Mittelstandsmoralisten: Nicht jeder in Deutschland hatte das Glück mit den Ressoucen, die Euch zu Teil wurden, aufzuwachsen. Damit meine ich u.A. ein wünschenswertes Elternhaus, Bildung, eine entsprechende Erziehung etc., also tut bitte nicht so verständnislos darüber dass es Subkulturen gibt die weniger Intellekt fordern weil ihre Konsumenten nicht die Wahl der eigenen Work-Life-Balance haben und zum Abschalten auf leichte Kost setzen.
Außerdem müsst Ihr damit leben dass es Leute gibt, die Euren Wunsch nach political-correctness nicht teilen – nicht, weil sie vom Leben benachteiligt sind, sondern weil sie sich eben einfach für eine andere Kultur und Attitüde entschieden haben. Die haben die gleichen Rechte wie Ihr, das müsst Ihr als Demokraten ertragen. Dinge zu canceln und zu verbieten (vor Allem Beiträge aus einer Zeit, die gemessen am eigenen zeitlichen Kontext völlig OK waren) ist kein guter Weg, er stärkt die Gegenbewegung und führt keineswegs zu mehr echter Toleranz. Dämonisierung macht schließlich alles interessanter. Und letztlich seid Ihr damit genau so notorisch wie diejenigen, die sich daran aufgeilen, ein vermeintlich verbotswürdiges Lied laut zu hören. Geht es hier wirklich immer um die Sache oder ist es nicht auch Selbstdarstellung?
Schöne Grüße aus zwischen den Stühlen!
Ihr Senf hierzu interessiert mich natürlich sehr – also kommentieren Sie was das Senfglas hergibt! Mehr Senf von mir gibt es hier !
Mehr Sempf und weitere Themen von Johannes‘ bekommt ihr in seinem Podcast „Discöföx“, in dem er zusammen mit Philipp Godart das Weltgeschehen kommentiert. „Schier sein Podcast“ ist schier gut. Weitere Infos findet ihr zudem auf den Websites der Boys:
Jöhännes www.johanneschier.de
Philipps: www.philippgodart.de
Dan Terrao meint
Lieber Johannes,
Ich liebe a lot wie du schreibst. Dein podcast werde ich auch bald hören
Lieben Gruss
Dan