Ich weiß nicht so recht, wieso ich genau auf diese Thema komme heute, aber irgend wie muss es halt mal raus. Ich glaube manchmal, ich muss meine große Liebe verlassen. Das ist jetzt wohl nichts unnormales für einen agilen und gefühlt jung gebliebenen Mittvierziger-Silberrücken, aber hier geht es doch um etwas anderes, denn meine große Liebe ist nach wie vor die Musik.

Die Jahre
Es gibt jede Menge Parallelen zwischen der Liebe zur Musik und der zu einem Menschen. Nach ersten Annäherungsversuchen kommt es zu ersten Dates, und irgend wann wachst Du auf und das ist alles 30 Jahre her. Wo ist nur die Zeit geblieben, und vor allem: was hat sie mit einem gemacht?
Der Alltag
Ich war schon immer der Typ Mensch, der, wenn er was tut, es auch richtig macht. Mit Haut und Haaren, ohne Kompromisse. „Kompromisse sind was für Opportunisten“ sagt der innere Anarcho in mir, den das Leben bisher zum Glück nicht mundtot bekommen hat. Manchmal geht die letzte Konsequenz dann auch weit hinter die Grenzen der Vernunft, der Höflichkeit oder der Gesundheit. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Das erklärt nicht nur, weshalb ich bereits 2x verheiratet war, sondern auch, weshalb ich nach wie vor an der Entscheidung, Musikprofi zu sein, festhalte. Denn genau wie bei einer schlechten Ehe wird mein Verhältnis zur Musik derzeit immer schaler.
Der Kampf
Es gibt da ganz praktische Faktoren, die sich in den letzten Jahren für Musiker arg verschlimmert haben. Allem voran sei erwähnt, daß die Gagen, für die ich derzeit die meisten meiner Auftritte spiele, wieder die gleichen sind wie zu Beginn meiner sogenannten Karriere vor 25 Jahren. Dass es in unserer Gegend auch Gang und Gebe ist, als Berufsmusiker in Ensembles zusammen mit Amateuren zu spielen, macht das Ganze nur schwieriger, da es hier einen klaren Interessenkonflikt gibt. Verstehen Sie mich nicht falsch: „Amateur“ ist für mich ein Musiker, der einer anderen Tätigkeit als seiner Musik nachgeht, um davon seine Brötchen zu kaufen. Es hat rein gar nichts mit dessen Fähigkeiten zu tun. Der Interessenkonflikt besteht darin, dass Amateure nicht primär musizieren, um davon zu leben, also ihren Focus irgend wo zwischen „Spass am Musizieren“ und „Wertschätzung durch regelmäßigen Applaus“ haben. Dadurch sind diese auch eher bereit, für Gagen von vor 25 Jahren zu spielen, solange es Freude macht und man sich die Anerkennung abholen kann – und überredet zum einen seine Profikollegen zum Akzeptieren des schlechten Deals und bootet rein über den Preis natürlich auch Bands aus Profis aus. Beides (Geld und Wertschätzung) ist übrigens wichtig, jedoch beim Profi nur so lange, wie er genug im Kühlschrank hat. Eine Kühlschrankfüllung ist übrigens seit 1999 mindestens ein Drittel teurer geworden, die Gagen jedoch geblieben – nicht gerade angenehm. Vielleicht sollten wir Musiker mal mit Traktoren demonstrieren für den Erhalt unseres aussterbenden Geschäftsmodells.
Mehr Kampf
Man kann als Profi mit leerem Kühlschrank auch nicht nur auf einer Hochzeit tanzen und ist deswegen kontinuierlich gestresst, allein dadurch, dass oft mehrere Bands für den gleichen Abend einen Job annehmen möchten, und natürlich alle einem freundschaftlich nahelegen, doch den Nerven zuliebe kürzer zu treten, jedoch natürlich nicht im eigenen Projekt, sondern natürlich bei den anderen. Weil im eigenen Projekt macht es ja schließlich Spass, nicht so wie bei den Anderen. Da wird es regelmäßig etwas heiss zwischen den Stühlen.
Noch mehr Kampf
Dazu kommt, dass man als potentieller Musiklehrer ständig in Preisdiskussionen mit Kunden und in Konkurrenz mit anderen Musikern steht. Permanentes Rechtfertigen und Ellbogen – sogar innerhalb der gleichen Musikschule. Auch hier erledigt den Job im Zweifelsfall der Nebenberufler einfach günstiger – und vielleicht sogar genau so gut. Da kann man nix machen. Und ja , es gibt immer mal Momente, in denen man keinen Sinn im eigenen Tun sieht, z.B. weil zwar die Eltern des Schülers unbedingt einen kleinen Hendrix wollen, der kleine Hendrix aber lieber ein kleiner Beckenbauer wäre. Wenn dann noch zusätzlich erwachsene Schüler oder Mitmusiker den blanken Neid darüber ausdrücken, dass man ja das Hobby zum Beruf gemacht hat, dann muss man schon mal süffisant grinsend einen Schluck Kotze wieder runterschlucken. Prost! Sorry, wenn ich hier romantische Wunschbilder zerstöre.
Immer mehr Kampf
Streamingdienste haben die Konkurrenz zwischen Profis und Amateuren zudem massiv geschürt – ich spare mir jetzt den Wunsch nach Protektionismus für die Profis, denn immerhin bin ich Rockmusiker und mag´s „von der Strasse“. Das ist nun mal nix, wofür man erst ne Lizenz machen sollte. Musik ist jedenfalls zum Beifang geworden, man kann froh sein, wenn der eigene Track als Hintergrundmusik für irgend eine Challenge bei einem Videoportal genutzt wird. . Ob sich ein Track gut streamt, hängt davon ab, wie wenig er als Hintergrundmusik stört, oder wie Tanzbar er auf z.B. TikTok ist. Da komme ich nicht mehr mit. Davon, dass sich der musikalische Mainstream mittlerweile zu sehr vom eigenen Geschmack entfernt hat und mein eindimensionales Hirn der schieren Menge der Releases nicht mehr folgen kann, will ich gar nicht anfangen.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet…
Nun ja, die Ehe mit der Musik ist also etwas schal und käsemaukig geworden. Und ich hinterfrage gelegentlich, ob diese Ehe noch trägt, immerhin kommt ja oft auch nach heftigen Investitionen von Leidenschaft, Zeit, Geld, Expertise und Herzblut nix zurück. Kann ich jetzt ner/nem jungen Musikverliebten noch empfehlen, diese Ehe noch einzugehen? Ich weiß es nicht – denn die Konditionen für sie/ihn sind mir völlig unbekannt, und ich kann nicht abschätzen, wie diese sich noch entwickeln. Wer hätte denn schon damit gerechnet, dass z.B. die Musiker von nem Virus in massives Armutsrisiko getrieben werden, um sich danach beim Kampf um die verbleibenden Jobs die Augen aus zu kratzen?. Wie in der Liebe zwischen Menschen ist der Begriff „bis dass der Tod uns scheidet“ ein Überbleibsel aus Zeiten mit massiv niedrigerer Lebenserwartung. Vielleicht gehöre ich einer aussterbenden Spezies an. Da bleibt nur zu hoffen, das Aussterben nicht selbst miterleben zu müssen. Vielleicht liegt es ja auch an mir, und ich stelle einfach nur nach 25 Jahren fest, dass ich vielleicht doch nicht dafür gemacht bin.
Wenn ich wenigstens vernünftig schreiben könnte, das wäre ja mal ne Perspektive …
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Mehr Sempf und weitere Themen von Johannes‘ bekommt ihr in seinem Podcast „Discöföx“, in dem er zusammen mit Philipp Godart das Weltgeschehen kommentiert. „Schier sein Podcast“ ist schier gut. Weitere Infos findet ihr zudem auf den Websites der Boys:
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