„Nescitis qua hora dominus veniet“ steht es am Trierer Dom geschrieben: „Ihr wisst nicht, zu welcher Stunde der Herr kommt“. Etwas anders sieht das für Vater James aus, dem gutherzigen Priester in einem kleinen irischen Dorf. Denn diesem wird während der Beichte eröffnet, dass er in genau einer Woche erschossen werden wird. Eine Woche Zeit, um sich mit dem Tod und den verlorenen Seelen seiner Gemeinde auseinanderzusetzen. Andreas Gniffke hat sich „Am Sonntag bist du tot“ im Trierer Broadway angesehen.
Es ist schwer zu glauben, was Vater James (Brendan Gleeson, The Guard) im Beichtstuhl eröffnet wird. Ein Mann berichtet, dass er als Kind hundertfach von einem Priester missbraucht wurde. Nun sei die Stunde der Rache gekommen und nicht etwa einer der Täter soll den Tod finden, sondern einer der guten Hirten. Der Effekt der Tat wäre so ungleich größer. In einer Woche soll der Tag der Abrechnung kommen, ausgerechnet am Heiligen Sonntag, wie der Unbekannte mit diebischer Freude bemerkt.
Die Beziehung der Iren zum Katholizismus ist etwas Besonderes. Wohl in kaum einer europäischen Region war die Religion derartig in Staat und Gesellschaft verwurzelt. Entsprechend groß war das Entsetzen, als unzählige Fälle von Kindesmissbrauch und Zwangsadoptionen bekannt wurden. Mit Letzterem hat sich in diesem Jahr bereits Stephen Frears im großartigen Film Philomena mit Judi Dench auseinandergesetzt (zur Besprechung). Die Auseinandersetzung mit derartigen Geschehnissen ist eine mehr als ernste Sache auf der grünen Insel, wer also eine schwarze Komödie erwartet, auf die der deutsche Titel hindeuten könnte, ist auf dem falschen Dampfer. Im Original wird die Richtung deutlicher: Calvary heißt der Film dort, womit der Kalvarienberg bezeichnet wird, der Berg, auf dem Jesus starb. Das ist alles andere als ein dezenter Hinweis. Es geht um Schuld und Sühne, Gut und Böse, um das Aufopfern für die Sünden der anderen.
Ein lupenreiner Heiliger ist Vater James dabei nicht. Das ein oder andere Guinness oder ein paar Whiskeys sind schon drin, solange das rechte Maß gewahrt bleibt. Was nicht immer im wechselhaften Leben des Geistlichen der Fall war. Der großartige irische Mime Brendan Gleeson verkörpert den Gottesmann mit einer Innbrunst, die einen erschauern lässt. Allein körperlich wie ein Fels in der Brandung, spiegeln sich in den kleinen Regungen des zerfurchten Gesichts Hoffnung, Vertrauen, Verzweiflung und Verachtung. In tiefem Vertrauen auf Gott und dem Guten im Menschen stellt er sich der Realität, die alles andere als harmonisch und wohlwollend ist. Regisseur John Michael McDonagh (nicht zu verwechseln mit seinem jüngeren Bruder Martin McDonagh, dem wir Brügge sehen und sterben und 7 Psychos zu verdanken haben), der Gleeson schon in der schwarzen Komödie The Guard eine Paraderolle auf den Leib geschrieben hatte, thematisiert die Kirchenskandale nicht vordergründig, doch das Misstrauen ist allgegenwärtig.
Die Dorfgemeinschaft, das wird schnell klar, ist ein Sündenpfuhl. Jeder ist mit den Abgründen seines Lebens beschäftigt, selbst Vater James’ Tochter Fiona (Kelly Reilly, Watsons Ehefrau in Sherlock Holmes) kommt mit Verbänden um die frisch aufgeschnittenen Pulsadern zu ihrem Vater, der nach dem Tod von Fionas Mutter seiner Berufung zu Gott folgte und seine Tochter zurückließ. Das manchmal etwas eindimensional gezeichnete Dorfensemble umfasst einen zynischen Arzt (Aidan Gillen, der Petyr Baelish aus Game of Thrones), eine zügellose Möchtegern Femme Fatale, einen frustrierten Kneipenwirt und einen depressiven und gleichgültigen Multimillionär. Viel zu tun also für einen Seelsorger, etwas zu viel für eine Woche. Zunehmend verliert der Gottesmann die Geduld mit seinen Schäflein, der Kampf gegen das Böse und die Sünde ist ein Kampf gegen Windmühlen.
Am Sonntag bist du tot ist mittreißendes Kino, das wehtut. Selten sind die Besucher im Broadway, die zu Beginn noch angeregt in der Popkorntüte geraschelt und über die durchaus vorhandenen humorvollen Elemente des Films gelacht hatten, bis zum letzten Ton des Abspanns in ihren Sitzen geblieben. Das Gegenteil von Wohlfühlkino, erschütternd und intensiv.
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