Mit Dallas Buyers Club und American Hustle haben wir in den vergangenen Wochen bereits Filme vorgestellt, die zum engsten Favoritenkreis bei der diesjährigen Oscarverleihung gezählt werden. Dazu gesellt sich nun Philomena. Dame Judi Dench brilliert als liebenswerte ältere Dame, die sich nach 50 Jahren auf die Suche nach ihrem Sohn macht, und gilt in dieser Rolle ihrerseits als heiße Anwärterin auf den Academy Award. Andreas Gniffke hat sich den Film im Trierer Broadway angesehen.
Nicht allein hinsichtlich der bevorstehenden Preisverleihung weisen die drei genannten Filme Gemeinsamkeiten auf. Ebenso beruhen alle drei auf wahren Geschichten, wobei Philomena ein besonders dunkles Kapitel erzählt. Auf die Geschichte der Philomena Lee stieß Martin Sixsmith, besser gesagt, er wurde darauf gestoßen. Der arrogante und snobistische britische Journalist befindet sich nach einem missglückten Intermezzo in der großen Politik in einer veritablen Lebenskrise, allerdings ohne die hohen Ansprüche an sich und seine journalistische Arbeit aufzugeben. Entsprechend irritiert reagiert er auf die Frage einer jungen Frau, ob er nicht ihrer Mutter dabei helfen könne, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und deren verlorenen Sohn zu suchen. Er lehnt brüsk ab, Geschichten „über willensschwache, verwundbare, ungebildete Menschen“ interessieren den Starschreiberling nicht. Doch bald wird er sich bewusst, dass seine stockende Karriere vielleicht doch durch einen kleinen Abstieg in die „Human Interest Stories“ angeschoben werden könnte und so trifft er sich mit Philomena, die ihm eine unfassbare Geschichte erzählt. Als unbedarfte Jugendliche im tristen Irland der 50er Jahre biss diese buchstäblich in den Kirmesapfel der Verführung und wird schwanger. Ihr Vater schiebt sie ins Kloster ab, wo sie unter großen Schmerzen und als Bußleistung ohne Betäubung ihren Sohn zur Welt bringt. Ihre Barmherzigkeit lassen sich die Ordensschwestern grausam vergüten. Die Mädchen werden als Arbeitssklaven gehalten, dürfen ihre Kinder nur eine Stunde am Tag sehen und müssen schließlich einwilligen, dass diese zur Adoption freigegeben werden. Wohlhabende Amerikaner bedienen sich auf der klösterlichen Resterampe und die Schwestern verdienen am Handel mit den Kindern. So musste auch Philomena mit ansehen, wie ihr Sohn in einer Luxuskarosse das Klostergelände verließ. Erst am Tag des 50. Geburtstags des Jungen offenbart Philomena die furchtbare Geschichte ihrer Tochter, zuvor waren bereits erste Versuche gescheitert, bei den Nonnen etwas über das Schicksal ihres Kindes zu erfahren. Alle Aufzeichnungen und Urkunden waren mysteriöserweise verbrannt.
Den zynischen Journalisten beginnt die Geschichte zu interessieren und er macht sich zusammen mit Philomena auf die Suche. Dass hinter den Klostermauern der Mief der 50er immer noch nicht verzogen ist, merkt Sixsmith schnell und über das dunkle Geheimnis geben die verwitterten Grabsteine der jungen Frauen im Garten erste Aufschlüsse. Langsam beginnt er wütend zu werden. Die Reise führt die beiden schließlich in die USA und Philomena kommt ihrem Sohn näher, als sie es vorher vielleicht geglaubt hat. Das ungleiche Duo lernt sich auf dem Weg langsam kennen und verstehen, wobei ihre Weltsicht unterschiedlicher kaum sein könnte. Auf der einen Seite der meist unfreundliche und arrogante Journalist, auf der anderen Seite die aus einfachen Verhältnissen stammende ältere Dame, deren schweres Schicksal sich in jeder Furche ihres Gesichts abzeichnet, die aber dennoch nichts von ihrer Würde und unerschütterlichen Demut und Freundlichkeit verloren hat.
Es ist nahezu unvorstellbar, dass sich diese Geschichte so oder so ähnlich wirklich ereignet hat. Und wahrscheinlich hätte niemand Philomena Lee ein derartig würdevolles und glaubwürdiges Gesicht geben können wie Judi Dench. Bei allem was ihr angetan wurde, verliert Philomena niemals ihren Glauben an die Menschheit und ihren Glauben an Gott. Alles andere hätte sie wahrscheinlich zerstört und so ist es durchaus zu verstehen, dass sie selbst die Nonnen, die ihr all das Leid zugefügt haben, in Schutz nimmt. Für den Betrachter ist dies ebenso schwierig zu verstehen wie für Martin Sixsmith. Doch er lernt von der alten Dame wichtige Lektionen über das Leben. Steve Coogan bereitete das Buch des echten Martin Sixsmith für die Kinoleinwand auf und schlüpfte selbst in die Rolle des Journalisten. Neben der überragenden Judi Dench wirkt Coogan etwas blass, den unsympathischen Snob spielt er aber überzeugend und es ist seinem Drehbuch hoch anzurechnen, dass es zu keiner großangelegten Läuterung kommt, selbst wenn er von Philomena sicherlich mehr lernt als diese von ihrem schnodderigen Begleiter. Der Stoff hätte außerdem ultimatives Kitschpotenzial gehabt, doch Regisseur Stephen Frears umschifft alle Schmalzfallen und stellt die Geschichte und seine Hauptfigur in den Mittelpunkt. Er nimmt Philomena ernst, auch wenn sie aus heutiger Sicht nicht immer rational handelt. So entsteht ein großer, kleiner Film, melancholisch im Grundton, doch immer dann mit viel Humor, wenn die Schwere des Stoffs unerträglich zu werden droht.
Judi Dench ist der Oscar für ihre unglaubliche Performance zu wünschen, aber auch der Film berührt und macht betroffen. Mitten im 20. Jahrhundert herrschten hinter den Klostermauern Zustände, die man bestenfalls als ‚mittelalterlich’ bezeichnen kann. Heute noch suchen verkaufte Kinder nach ihren Wurzeln und ihrer Familie. Vielleicht nicht ganz der richtige Film für einen Kinoabend an Schwerdonnerstag, wo das Broadway vor allem von Damengruppen bevölkert wurde, die teilweise für eine Geräuschkulisse wie bei einem durchschnittlichen Heimspiel im Moselstadion gesorgt haben. Ein, trotz des Stoffes schöner, warmherziger Film mit beeindruckender Hauptdarstellerin. Unbedingt anschauen!
Philomena läuft täglich im Trierer Broadway und an ausgewählten Terminen auch in Originalsprache.
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