5VIER exklusiv: MissBIT, die Initiative der Missbrauchsopfer im Bistum Trier, will mit gesammelten Informationen an die Öffentlichkeit gehen. Die Vorwürfe: Bischof Stefan Ackermann schütze bis heute Täter in seinem Bistum; Bischof Stein habe Missbrauchs-Priester versetzt und so weitere Taten ermöglicht.

Am Sonntag fanden im Bistum Trier keine Gottesdienste statt, Corona hat auch die Kirchen fest im Griff. Aus dem Dom meldete sich Bischof Stephan Ackermann lediglich per Livestream. Die meisten Katholiken werden sich daran kaum stören, sind die Gottesdienste doch ohnehin nur noch dürftig besucht.
Für einige hundert Menschen im Bistum Trier ist der Besuch einer katholischen Kirche ohnehin kein Thema mehr: Sie wurden als Kinder von Kirchenmännern missbraucht, gar vergewaltigt.
Die Initiative der Missbrauchsopfer im Bistum Trier, MissBIT, ist bereits seit 2010 aktiv und kämpft für die Rechte der Betroffenen. Genauso lange schon ist der Trierer Bischof Ackermann Missbrauchsbeauftragter der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Der Chefaufklärer der Kirche in Deutschland also. Aus Sicht der Opfer ist seine Bilanz verheerend. Noch immer hat die Kirche selbst keinen Missbrauchsfall selbst aufgedeckt, noch immer hat sich an den Strukturen, die die Verbrechen begünstigen, kaum etwas geändert. Erst zehn Jahre, nachdem der Missbrauchsskandal öffentlich wurde, sollte eine Regelung für Entschädigungszahlungen gefunden werden. Die Bischöfe haben nun entschieden, dass es statt Entschädigung nur eine Anerkennungszahlung in viel geringerer Höhe geben soll – für die Opfer ein Schlag ins Gesicht. (Mehr dazu unten: INFO)
Priester in Trier haben 142 Kinder missbraucht
Für MissBIT bedeutet das: Es ist Zeit zu handeln. Nach einem Jahrzehnt der Interessenvertretung auf allen Ebenen geht die Gruppe jetzt einen Schritt weiter.
„Wir haben uns mit unserem Rechtsberater besprochen und werden jetzt an die Öffentlichkeit gehen“, sagt Thomas Kiessling, Sprecher der Initiative.
MissBIT hat in den letzten Jahren Informationen und Akten angesammelt, die ein erschreckendes Bild abgeben. Allein in der Stadt Trier wurden 142 Menschen von Priestern missbraucht, im Bistum sind es über 400. Die Täter sind intern bekannt, werden aber nicht öffentlich gemacht. Aufarbeitung in den Gemeinden ist so unmöglich.
Das Besondere bei Missbrauch innerhalb der Kirche: In den meisten Fällen hat der Arbeitgeber von den Vergehen seiner Priester erfahren. Statt die Täter zu melden und aus dem Verkehr zu ziehen, durften sie einfach woanders weiterarbeiten. So haben Personalverantwortliche überall in Deutschland dabei geholfen, dass Missbrauchstäter neue Opfer finden konnten.
In Trier im Fokus: Bischof Bernhard Stein, nach dem sogar ein Platz neben dem Dom benannt ist. Schon länger kursieren Gerüchte, dass der Oberhirte von den vielen Missbrauchsfällen in seiner Amtszeit (1967 bis 1980) gewusst haben muss, aber nichts dagegen unternommen hat.
MissBIT legt jetzt Fakten vor: „Wir haben Akten, die beweisen, dass Bischof Stein mindestens einen Priester wissentlich, namentlich an einen anderen Ort versetzt hat. Obwohl sein Justiziar ihm berichtet hat, dass dieser Priester ein Missbrauchstäter war und nicht mit Kindern und Jugendlichen arbeiten soll“, so Kiessling. „Der Täter musste einige Tage zum Gebet in ein Kloster, danach hat er weiter vergewaltigt. Diese Akten werden wir jetzt dem Stadtrat zur Verfügung stellen.“
Bisher ist es nicht zu einer Umbenennung des Bischof-Stein-Platzes gekommen, weil die Entscheidungsträger zunächst die Darstellung des Bistums abwarten wollen. Die lässt aber auf sich warten. Kiessling macht klar: „Wir wollen, dass dem Bischof von Seiten der Stadt Druck gemacht wird.“
Woher hat MissBIT die belastenden Informationen? „Wir haben als Opfer die Möglichkeit, die Akteneinsicht gerichtlich durchzusetzen“, erklärt der Sprecher. „Wir bekommen dann von den Kirchen die Akten unserer Täter, die aber normalerweise bereinigt ist. In der Akte meines Täters fehlen die Aufzeichnung aus der Zeit der Taten, die Seiten sind rausgerissen“, so Kiessling, der zwischen seinem sechsten und achten Lebensjahr von einem Priester aus der Trierer Abtei St. Matthias vergewaltigt wurde.
„Dass wir diesmal eine vollständige Akte bekommen haben, muss ein riesengroßer Fehler gewesen sein.“
Der könnte zur Folge haben, dass offiziell anerkannt werden muss, dass Bischof Stein Priester, die Kinder missbraucht haben, geschützt hat und ihnen weitere Taten ermöglicht hat. In Deutschland wäre das ein Novum, dem weitere folgen können.
MissBIT: 42 Täter immer noch als Priester im Bistum aktiv
Auch gegen Bischof Ackermann persönlich erhebt MissBIT schwere Vorwürfe. Laut Kiessling schützt er einige Täter bis heute: „Im Bistum Trier gibt es 42 Priester, von denen Ackermann weiß, dass sie Täter sind, die noch immer aktiv sind. Zum Teil in der Jugendarbeit. Und wir können nichts dagegen machen“, schildert Kiessling seine Verzweiflung.
Aber: „Wir haben Akten, die das beweisen. Das wird jetzt alles öffentlich gemacht.“
Bücher und Aufsätze werden erscheinen, auch eine Ausstellung ist bereits im Gespräch. Die neuesten Informationen gibt es auch dann auf 5VIER.de.
Das Bistum Trier will die konkreten Vorwürfe nicht kommentieren. Eine Sprecherin verweist auf die eigene Aufarbeitung des Handelns von Bischof Stein. Noch allerdings hat die Untersuchung gar nicht begonnen. Der Beginn ist für das zweite Halbjahr 2020 geplant.
INFO: ENTSCHÄDIGUNGEN FÜR MISSBRAUCHSOPFER
Bis heute gibt es keine Entschädigungszahlungen der Kirche an die Menschen, die von Priestern missbraucht wurden. Entschädigung sind ein Ausgleich dafür, dass die Opfer lebenslang unter psychischen und körperlichen Schäden leiden, Therapien und Aufenthalt in psychiatrischen Kliniken in Anspruch nehmen müssen und ihre Berufe nur eingeschränkt ausüben können. Eine unabhängige Expertenkommission, die die Bischofskonferenz selbst beauftragt hat, hatte im Herbst eine Entschädigungssumme von 300.000 Euro pro Person empfohlen.
Kiessling: „Das wäre eine Rente von 500 Euro im Monat. Das ist nicht zu viel verlangt.“
Dass die Kirchen diese Summen nicht tragen könnten, darf bezweifelt werden. Der Betriebswirt Matthias Krause hat berechnet, dass die deutschen Bistümer für die Zahlungen nur ihre Überschüsse aus zwei Jahren benötigen würden, ohne dass der normale Betrieb in den Bistümern davon beeinflusst wäre.
Die Bischöfe haben sich nun aber entschieden, sich bei ihren Zahlungen an dem zu orientieren, was andere Opfern vor Gericht zugesprochen bekommen (und was im Vergleich zu anderen Ländern eher wenig ist). Der Berliner Erzbischof Koch sagte dazu, es könne nicht sein, dass Opfer einer bestimmten Tätergruppe mehr erhielten als die einer anderen.
Damit ignoriert die DBK die Tatsache, dass es bei Fällen außerhalb der Kirche eine rechtskräftige Verurteilung gab – und damit Gerechtigkeit für die Opfer.
In der Kirche dagegen wurden Täter systematisch gedeckt und vor staatlicher Verfolgung geschützt. Mit der Entscheidung gestehen die Kirchenmänner die kirchliche Mitschuld an den Verbrechen weiterhin nicht ein.
Links zum Thema:
Süddeutsche Zeitung: „Ich habe meine Glauben verloren“ Missbrauchsopfer treffen auf Bischof Stephan Ackermann.
ZEIT: „Was passiert, wenn man spricht“ Die Trierer Missbrauchsopfer Thomas Kiessling und Thomas Schnitzler erzählen ihre Geschichten.
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