Wie in vielen prosperierenden Städten des Mittelalters gab es auch im erzbischöflichen Trier eine bedeutende jüdische Gemeinde. Typische Straßenbezeichnungen wie „Judengasse“ zeugen heute noch von den Vierteln, in denen Juden lebten.
Mit ihren Tätigkeiten als Händler, Handwerker und Geldverleiher waren sie fester Bestandteil des Wirtschaftslebens der Stadt. Das änderte sich auf brutale Weise, als 1347 die Große Pest über Europa hereinbrach, für die man die Juden mitverantwortlich machte. In der Folge kam es zu zahlreichen Pogromen, so auch 1349 in Trier, bei dem viele Juden vertrieben oder ermordet wurden.
Noch grauenvoller wurde es schließlich unter der Macht der Nationalsozialisten, wo neben der Vertreibung auch die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung groß geschrieben wurde. Im Interview mit 5vier.de-Redakteur André Mergener stand der Trierer Kunsthistoriker und Filme- und Ausstellungsmacher Ralf Kotschka nun Rede und Antwort:
2000 Jahre lange Geschichte
Guten Tag Herr Kotschka! Trier und das Judentum liegen gar nicht mal so weit auseinander. Wie groß ist die Verbundenheit tatsächlich?
Ralf Kotschka: Da gibt es eine fast 2000 Jahre lange, wechselvolle Geschichte. Auf Seiten der Juden immer wieder mit Unterbrechungen durch Verfolgung und Vertreibung. Die Gemeinde heute wird von der Stadt sehr geachtet, auch von den Trierer*Innen. Heute ist das Interesse groß an jüdischen Themen, und es wird auf vielen Gebieten gut zusammengearbeitet.
Die Geschichte selbst schreibt sich auch unter römischer Flagge. Was ist aus dieser Zeit bekannt?
Ralf Kotschka: Aus der römischen Zeit gibt es sehr wenig: erhalten hat sich eine Öllampe aus den 350er Jahren n.Chr., die mit einer Menora, einem jüdischen Leuchter verziert ist. Gefunden wurde die Nähe Hauptmarkt. Allerdings war das Importware, so dass man sagen könnte: vielleicht von einem jüdischen Trierer Haushalt benutzt – aber ein richtiger Beleg ist das nicht. Mönche aus St.Matthias haben im 12. Jahrhundert unter dem Titel „Gesta Treverorum“ („Die Taten der Trierer“) Stadtgeschichte aufgeschrieben: Dort werden erstmals Juden in Trier erwähnt.
Mit der Pest kam der Hass
Die erste dunkle Stunde in Trier erlebten die Juden 1347, als die große Pest über Europa hereinbrach, für die man die Juden mitverantwortlich machte. Was bedeutete diese Zeit für die in Trier lebenden Juden?
Ralf Kotschka: Extreme Unsicherheit. Juden wurden von allen Seiten instrumentalisiert: von der kirchlichen und der weltlichen Macht, von der Mehrheitsbevölkerung. Jüdische Kreditgeber konnte ein Erzbischof viel leichter loswerden als seine christlichen Geldverleiher. Ein Kurfürst erlaubte die Ansiedlung von 30 Familien, wenn er Geld brauchte oder die Wirtschaft ankurbeln wollte. Brach eine Epidemie aus, wollte man Schuldscheine loswerden, hatte man einen Schuldigen. Das war für alle Beteiligten sehr praktisch. Für die Juden natürlich nicht.
Das dunkelste Kapitel der Juden…
Eine weitere schlimme Epoche kam schließlich mit dem Nationalsozialismus. Was ist über dieses Kapitel bekannt – wie schlimm traf es die Trierer Juden in dieser Zeit und was genau hat es mit der damaligen Deportation auf sich?
Ralf Kotschka: Der staatliche Vernichtungswille der Nationalsozialisten – also der Deutschen – enwickelte sich seit 1933. Erst nach Kriegsbeginn 1941/42 fasste die deutsche Regierung den Entschluß, Juden auszurotten, und begann sofort mit der Umsetzung. In Trier begannen die großen Deportationen mit dem Zug Da III am 16.Oktober aus Luxemburg via Trier nach Łódź in das dortige Ghetto. Daran erinnert die grenzübergreifende Arbeitsgemeinschaft „Grenzenlos gedenken“.
Die Deportationen verliefen sehr bürokratisch: Juden mussten ihren Hausrat auflisten, eine Gebühr bezahlen, wurden zu Abertausenden in Züge verbracht und abtransportiert. Ihr Nachbarn, ja die gesamte deutsche Mehrheitsgesellschaft, schaute dabei zu. Nicht nur in Trier sperrte man die Juden vor den Transporten in sog. „Judenhäuser“ – oder die von ausserhalb in das beschlagnahmte Bischof-Korum-Haus am Rindertanzplatz. Die, die von 800 jüdischen TriererInnen nicht fliehen konnten, wurden alle Richtung Osten deportiert. Überlebt haben aus Trier vielleicht ein Dutzend.
Ab wann kann man sagen erholte sich das jüdische Leben in Trier?
Ralf Kotschka: Erholt in dem Sinn, dass es wieder eine Gemeinde wie vor der Vernichtung gab – das war nicht der Fall. Schon bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs kamen einige wenige Überlebende aus der Region zurück nach Trier und gründeten hier eine neue Gemeinde. Viele waren es nicht, aber immerhin konnte in den Fünfzigern die neue Synagoge in der Kaiserstrasse gebaut werden. Trotzdem bleib die Gemeinde relativ überschaubar.
Kleine Gemeinde lebt noch heute in Trier
Und heute – wie groß ist die Gemeinde heute in Trier – und wie lebendig wird das Judentum in Trier aktuell ausgelebt?
Ralf Kotschka: Heute lebt eine kleine Gemeinde von ca. 450 Personen in Trier – alles sog. „Kontingentflüchtlinge“ as den ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Viele davon sind säkularisiert, leben also die Relgion als solche nicht. Die Religionsausübung war ihnen in ihren Herkunftsländern, im Kommunismus verboten. Aber Gottesdienste am Schabbat und vor allem die vielen religiösen Feiertage werden in der Synagoge gefeiert.
Wie groß ist die Akzeptanz der restlichen Bevölkerung und wie oft gibt es auf Trierer Boden noch Anfeindungen, ist Ihnen diesbezüglich irgendwas bekannt?
Ralf Kotschka: Insgesamt ist die Akzeptanz schon sehr, sehr groß. Natürlich gibt es auch Anfeindungen, mehr versteckte als offene Angriffe. Größere Anfeindungen sind mir jedoch nicht bekannt.
Viele Orte erinnern noch an die jüdische Geschichte in Trier
Trier hat viele Stellen vor Ort, die noch heute an die römische Zeit erinnern. Wo in der Stadt gibt es aber überall Erinnerungen an das jüdische Leben?
Ralf Kotschka: Das jüdische kulturelle Erbe sehen wir in Trier heute vor allem an den authentischen Orten in der Judengasse als Teil eines ehemaligen jüdischen Viertels, wo sich das älteste jüdische Wohnhaus nördlich der Alpen erhalten hat, wahrscheinlich sogar eine mittelalterliche Mikwe (ein religiöses Tauchbad) – und auf dem alten jüdischen Friedhof in der Weidegasse. Jüdisches Leben hat natürlich auch an anderen Orten stattgefunden, erhalten hat sich da aber kaum etwas.
Andere Orte würde ich eher als Zeugnisse jüdischer Verfolgung und Vernichtung bezeichnen, zB die Stolpersteine: sie erinnern vor allem an die Opfer des NS. Diese Erinnerung ist zwar wichtig für uns alle, aber Juden sind ja nicht in erster Linie Opfer, das sollte man nicht vergessen.
Großes Eigeninteresse
Was können Sie über Ihre Person sagen, wie kam Ihre Verbundenheit zur Jüdischen Gemeinde, zum Judentum, was sind genau Ihre Aufgaben und was haben Sie zu diesem Thema schon alles erreicht?
Ralf Kotschka: Ich hatte irgendwann entdeckt, dass mein Großvater an der Plünderung einer Synagoge in der Pogromnacht beteiligt war. Seitdem beschäftigt mich die Frage, weshalb Juden einem solchen Hass ausgesetzt waren – und sind. Ich habe angefangen, beruflich bundesweit im Museums- und Ausstellungsbereich mit Zeitzeugen-Videointerviews von Überlebenden zu arbeiten. Irgendwann wurde mir klar, dass ich kaum Juden persönlich kenne.
Da habe ich einfach mal an die Tür der Synagoge in der Kaiserstrasse geklopft. Daraus entstand dann Einiges, zB die Wanderausstellung „Jüdisches Trier“, die schon über 15.000 Besucher in der Region hatte. Das begleitende Magazin erlebt gerade eine Zweitauflage. Das Interesse und die Neugierde sind sehr groß! Im letzten Jahr konnte auch das von mir initiierte kleine Denkmal für die deportierten Juden aus Trier und Region am Rindertanzplatz nach mehrjähriger Vorarbeit endlich aufgestellt werden.
Man kämpft für den Erhalt der kleinen Gemeinde
Wo sehen Sie die jüdische Gemeinde in Trier in der Zukunft, wird sie wachsen und welche Ziele pflegt man intern?
Ralf Kotschka: Die jüdische Gemeinde Trier stand Anfang der 1980er Jahre schon mal vor dem Aus – wegen Nachwuchsmangel. Momentan ist es fraglich, ob es in 20 Jahren noch eine intakte jüdische Gemeinde in Trier geben wird. Auch hier hat die Religion nicht mehr diese Bindungskraft, viele Junge wandern ab. Die Gemeinde tut natürlich alles dafür, dass das nicht eintritt.
Welche enge Verbundenheit pflegt das Christen- und Judentum – gibt es da eine Parallele?
Ralf Kotschka: Ich bin kein Theologe, sondern Kunsthistoriker, Filme- und Ausstellungsmacher. Wer da Fragen hat, richtet sich am besten an das hervorragende Emil-Frank-Institut in Wittlich, oder an die Trierer Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V. Beide pflegen die Kooperation beider Weltreligionen mit sehr sinnvollen Projekten.
Akzeptanz, Interesse und Anfeindungen in der Bevölkerung
Wie könnte man die Akzeptanz der restlichen Bevölkerung enger schnüren, dass antisemitische Anfeindungen in Zukunft weniger werden oder gar aufhören. Wäre die direkte Begegnung mit dem Brauchtum der Juden nicht ein interessanter, wenn auch gewagter Anfang?
Ralf Kotschka: In 2021 werden ja 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert. Die Jüdische Gemeinde Trier macht im Mai/Juni mit dem Projekt „Frag den Rabbi“ auf dem Hauptmarkt einen Anfang: jeder darf dort einem „echten“ Rabbiner eine Frage stellen. Die Aktion wird als Film festgehalten. Ende Juni dann plant die Jüdische Gemeinde ein Open-Air-Konzert an einem „Tag der Begegnung“ in Garten der Synagoge. Frei für Alle, aber wahrscheinlich mit zahlenmässiger Einschränkung. Freiwillige HelferInnen sind für beide Projekte willkommen! Übrigens gibt es kein jüdisches „Brauchtum“, sondern eine Religion mit daraus entspringender Kultur, wie zB Musik und Literatur.
Was planen Sie momentan?
Ralf Kotschka: Seit letztem November arbeite ich an einem Dokumentarfilm über ukrainische und russische Zwangsarbeiterinnen bei der Romika in Gusterath. Gleichzeitig bereite ich das Projekt „Frag den Rabbi“ vor – da wünschen wir uns Neugier und spannende Fragen von den Trierer*Innen!
Okay Herr Kotschka, ich danke Ihnen für das sehr interessante Interview und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute!
Ralf Kotschka: Danke, Ihnen auch!
Information!
Demnächst erscheint die Neuauflage des Magazins „Jüdisches Trier“ vom Autor und Kunsthistoriker Ralf Kotschka. In diesem Magazin macht er das jüdische Leben in Trier noch deutlicher und geht in die Details einer Kultur, die auch zu Trier gehört wie die Porta Nigra. Erhältlich ist dieses Magazin demnächst in allen Trierer Buchläden!
André Mergener
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